Gerhard Götze
NIKE NEW ART IN EUROPE No. 25

Der Bildhauer
Ansgar Nierhoff

Ein Interview


GÖTZE: »Eisenzeit«, dies der Titel Ihrer Ausstellung im Saarlandmuseum, im Ostwall Museum in Dortmund und im Museum moderner Kunst 1989 in Wien. Steht diese Methaper Ihres Stahlenvironments für eine Kontiguität?

NIERHOFF: Diese Skulpturen sind in einem 4jährigen Entwicklungsprozeß entstanden. Grundlage waren unterschiedliche, eigene Themenstellungen, die ich zu einem Environment zusammenführte. Denkbar wäre dieses Ensemble auch ausgeweitet um Arbeiten, die anderwärts ihren festen Standort fanden und die ebenso in den zurückliegenden fünf Jahren entstanden sind, im Grunde gehören all diese Arbeiten zusammen. Thematisch gründet EISENZEIT auf dem geographischen Raum, dem sozialen Kontext, in dem ich lebe, dem Formenkanon, an dem ich seit Jahren arbeite. Inhaltlich sind die Skulpturen logische Folge von Entscheidungsprozessen.

GÖTZE: Raum, Zeit, Volumen: sind dies in Ihrer bildhauerischen Arbeit korrelierende Einheiten?

NIERHOFF: Raum, Zeit, Volumen gebrauche ich in der Kontinuität des allgemeinen Sprachgebrauchs. Raum und Volumen sind für die Skulpturen und für mich untrennbare Begriffe. Das Volumen ist ja schon Raum. Es drängt. Es schafft nach außen hin Raum. Es läßt Räume. Es gilt aber zu unterscheiden: Raum als Zwischenraum, als Binnenraum und das ist keineswegs meine Erfindung. Ich nenne hier nur Gonzales, Giacometti, Caro, Kricke, die jeweils unterschiedlich das Verhältnis von Skulpturen untereinander in einer Synergie angedeutet haben. Zeit meint weniger Zeichen der Zeit, Zeit ist Kontingenz.

GÖTZE: Sie beziehen organische und anorganische Materialien wie Holz, Stahl, aber auch das Erdreich in Ihre plastische Gestaltung ein, tritt dadurch eine »Absicht« zutage?

NIERHOFF: Ich ziele auf Kontrastierung.
Holz oder Erdreich sind Äquivalente zu meiner skulpturalen Arbeit. Wären sie es nicht, es gäbe meine Arbeit in dieser Form nicht.

GÖTZE: Elemente wie Stele, Idol, geometrische Grundformen, Kreis, Kubus, konkave und konvexe Formen, Linie, Verschränkung, assoziative, rhythmische Fortschreitungen einzelner plastischer Gebilde sind das Merkmal in EISENZEIT, wie ergab sich diese» Architektur«?

NIERHOFF: Stele und Idol stehen für kulturhistorische Werte. Eine Analogie drängt sich für mich in EISENZEIT nicht auf. Ich will dem Beschauer eine Benennung dieser Art aber nicht streitig machen. Denn jeder wird zunächst erkennen, was ihm geläufig ist. Sehen, Erfahren, Erinnern basiert auf dem Wechslelspiel, das eine Ganzheitlichkeit ausmacht. Deshalb könnte mach auch sagen, eine Skulptur, die dies erfüllt, steht mitten im Leben. Und, man sieht, was man weiß und umgekehrt!
»Rhythmische Fortschreitung« wäre geradezueinTitel für meineArbeit;für bestimmte mehrteilige Skulpturen. Der das so sieht, ist einbezogen in meine Arbeit. »Architektur,"wäre als Titel (Topos für »EISENZEITE« möglich, wenn Architektur eine tragfähige Idee im ganzheitlichen Sinne wäre, und nicht, was gemeinhin darunter verkauft wird.
Meine Inszenierung des Skulpturenensembles erfolgt in Korrespondenz zu dem Aussteltungsraum oder dem landschaftlichen Umfeld.

GÖTZE: In EISENZEIT konkurrieren Dynamik und Statik, Prinzipien und Wirkungen, die sonst für musikalische Kompositionen eine wichtige Rolle spielen. War dies beabsichtigt?

NIERHOFF: Dieses Gefühl und zwischen Dynamik und Statik wechselnde Erscheinungsbild stellt sich durch die Anordnung der Skulpturen ein; virtuelle Zunahme, Abnahme, Verschränkung usw. der plastischen Elemente betonen einen Akkord. Dies ist schon ein »tonaler Effekt«, der sich beim Machen der Skulpturen einstellt. Einen linearen, schöpferischen Impuls, der nicht durch »Schwankungen« gekennzeichnet ist, gibt es nicht Schauen wir uns die Literatur, die Musik, die bildende Kunst näher an, so bieten sich unendlich viele Beispiele. Der Tansfer zwi'schen den einzelnen Medien ist eine Frage des Einlassenkönnens, einer inneren Bereitschaft.

GÖTZE: Unter dem Ausstellungstitel EISENZEIT verwenden Sie Begriffe wie Tor, Sog,Achse Emotion gegen Technik dies das fiünfteilige Tor betreffend oder Paarweise für zwei korrespondierende Stelen oder den aus mehreren Facetten bestehenden Kubus. Einem Wesen gegenüberstehen, das einsam ist… oder Das Paar, das sich durch einen quadratischen Grundriß von einem runden unterscheidet. Potential, Kugel, ist das Dramaturgie?

NIERHOFF: Dramaturgie ist eine Kennzeichnung verschiedener Potenzen. Deren Austausch steht in einem kontrastierenden Verhältnis; der Widerspruch ist ihr Sinn; ihre namentliche Kennzeichnung ist ihre semantische Zuordnung.

GÖTZE: Fläche und Linie oder Fläche zu Linie ist ein bestimmendes Element in Ihrer Arbeit, waren Sie von diesem Impuls auch bei der »EISENZEIT« InstaRation geleitet?

NIERHOFF: Fläche und Linie stehen am Anfang aller skulpturalen Anordnung im Raum. Dessen eingedenk entstand auch die Verteilung der skulpturalen Volumina für die »EISENZEIT Installation. Eine Kohärenz der Skulpturen ließ sich nur so schlüssig herbeiführen.

GÖTZE: Die Eisenskulpturen finden ihre Form vor Ort in der Stahlschmiede und im Brennbetrieb. Läßt sich an diesen Orten noch ein spontaner Einfall berücksichtigen?

NIERHOFF: Zumeist existiert eine Skizze oder ein kleines Modell, vorläufig oder endgültig. In der ausgedachten Zeit des Hersteltungsprozesses treffe ich dann die Entscheidung: so mache ich es jetzt. Es ist nicht der Regelfall, daß ich im Brennbetrieb oder in der Schmiede noch Veränderungen vomehme, aber es ist möglich und geschieht.

GÖTZE: Was wollen sie zukünftig realisieren?

NIERHOFF: Ich schließe an meine bisherige Arbeit an, ich verschaffe mir sozusagen die »Aufträge« selbst Bislang habe ich ausnahmslos das gemacht, was mich persönlich geleitet hat und selbst bei den großen Skulpturen im öffentlichen Raum, gehe ich ausschließlich von meiner künstlerischen Intention aus und setze sozusagen meine Arbeit fort.

GÖTZE: Was ist das für ein Gefühl: Künstler irm ausgehenden 20. Jahrhundert zu sein?

NIERHOFF: Im besten Sinne versuchen Künstler eine Aufgabe zu lösen: Durch ihre Arbeit Wahrnehmen und Erinnern möglich zu machen, zeitlos, unterschiedslos.

Gerhard Götze
NIKE NEW ART IN EUROPE No. 28

EMIL SCHUMACHER

Ein Interview


GÖTZE: Lässt sich von einem Gegenstand in einem ungegenständlichen Bild sprechen?

SCHUMACHER: Gut, dass Sie es ansprechen, das ist nämlich ein Problem: gegenstandslose Bilder sind für mich nicht existent. Ein Gegenstand ist ja etwas, was nicht bekannt sein muss! Wenn ich ein Bild gemalt habe, es mir nach dem Arbeitsprozess gegenübersteht, dann steht mir "etwas" gegenüber! Plötzlich ist ein Gegenstand da, mit dem ich korrespondieren kann. Es ist eine Substanz nötig, um aus einem Bild eine Persona zu machen, ein mir vis-à-vis Stehendes, mit dem ich korrespondieren kann! Insofern ist Gegenstandslosigkeit keine Bezeichnung für meine Bilder.

GÖTZE: Wie charakterisiert sich für Sie Ungegenständlichkeit?

SCHUMACHER: Das ist für mich nicht bindend! In meiner Arbeit gehe ich vom Erlebten aus. Und dieses Erlebte versuche ich in eine Form zu bringen. Diese Form ist dann der Gegenstand oder auch der Nichtgegenstand oder wie man es nennen will... Es ist eine Zusammenfassung des Erlebten, dessen was ich will, dass es Form wird. Die Form ist dann der Gegenstand, wenn man es so nennen möchte. Ich habe immer festgestellt, wenn ich eine Linie ziehe auf der Leinwand, dann zeigt sich in der Linie ein Gegenstand oder ein Nichtgegenstand, der wirklich versteckt ist darin, der freigesetzt werden möchte.
Durch eine Linie umschreibe ich und daraus wird dann ein Gegenstand oder ein Nichtgegenstand. Das ist das Paradoxe daran! Gegenstand ist ja nicht nur das was wir kennen, was wir in der Natur schon erlebt haben. Es gibt ja auch Dinge, die wir nicht kennen, die trotzdem vorhanden, im Werden begriffen sind!

GÖTZE: Hat das Tafelbild heutzutage noch eine Gültigkeit?

SCHUMACHER: Ich glaube, dass das Tafelbild immer seine Bedeutung behalten wird, obwohl es bisweilen in Frage gestellt wurde, doch gerade darum hat es sich wieder durchgesetzt. In meinen Anfängen habe ich versucht, über das Tafelbild hinauszukommen. Tastobjekte nannte ich sie, die man ihrer ganzen Existenz nach abtasten kann. Aber ich bin wieder davon weggekommen, weil ich mir sagte, ich will mir ein Bild machen. Ich will mir ein Bild machen von der Welt in der ich lebe! Das ist auch mein künstlerisches Anliegen. Ist nicht die ganze Vielfalt dieser Welt so unerschöpflich? Die Erlebnismöglichkeiten sind so unendlich, dass es zu einem Ende nie kommen wird. Die Welt stellt sich immer wieder unter anderen Aspekten dar, unter denen man malen oder in anderer Hinsicht schöpferisch sein kann. - Das Ende davon ist nur der Tod! Meine Vorstellung von einem Bild ruht in mir... Ich versuche fortwährend dieses Bild von Malerei, von Welt, zum Ausdruck zu bringen.Das ist der alleinige Beweggrund weshalb ich male! Wenn nachher das Bild realisiert ist, brauche ich kein Bild mehr zu malen... Die Malerei benötige ich zum Leben.
Leben und malen sind für mich eins!
Es ist nicht so, dass ich morgens ins Atelier gehe und mittags fertig bin, nein, es geht über den Nachmittag bis in die nächtlichen Träume hinein! Ich habe ständig den Ansporn ein neues Bild zu machen. Das ist auch das, was mich bisher jung gehalten hat; sogar in meinem sechsundsiebzigsten Lebensjahr in dem ich mich befinde, ist es noch Anlass zu neuen Bildern! Aus dem Vorherigen entspringt wieder das Neue. Irgendwelche Unzulänglichkeiten, die in dem Bild vorhanden sind, möchte ich in dem nächsten in eine gültige Form bringen. Aber es ist ja so, dass in jedem Bild, in jedem Meisterwerk Schwächen, Unzulänglichkeiten sind. Das ist eigentlich die Glaubwürdigkeit des Kunstwerkes schlechthin! Die Korrektur brächte das Bild in kein besseres Licht. Weshalb ich diese Unzulänglichkeiten lasse oder auch ästhetisch weniger schöne "Dinge" nicht behebe, weil ich mir sage, das ist die andere Seite, wie im Leben auch, in dem das Unvollkommene vorhanden ist. Wie das Gesicht, das lebendig ist, zwei Seiten hat, dann gibt es kein vollkommenes Gesicht, wie es auch kein vollkommenes Bild geben wird.

GÖTZE: Geist und Materie: ist das die Stofflichkeitswerdung durch den Zeitlauf - analog Physis, Gebärde, Farbe...?

SCHUMACHER: Ja, das stimmt. Das kann ich so bestätigen. Tote Materie gibt es für mich nicht. In der Malerei ist eine Lebensfülle, die entdeckt werden muss. Bei meinen Materialien, die ich verwende, handelt es sich um weniger Kostbares. Es sind ganz einfach Farbe, Farbpulver, Draht, Nägel oder anderes... Durch den Malprozess findet eine Vergeistigung, eine Überhöhung des Stofflichen statt, wodurch die Stofflichkeit in das Geistige transportiert wird.
Die Geste ist dabei die Sprache des Körpers! Meine Bilder haben eine ganz bestimmte Größe, die meiner Figur, dem menschlichen Körper adäquat ist. Die Bewegung des Armes umschreibt einen Raum, der, wenn er überschritten ist, nicht mehr proportional zu mir persönlich passt, zu meiner Physis. Insofern ist die Geste eingebettet in das Format und die Größe eines Bildes und wird auch beschränkt durch das Format. Somit ist sie für meine Begriffe keine leere Bewegung des Armes, sondern ist gesteuert durch die Empfindung. Es gibt nicht einfach dieses "sit!", einen Strich zu machen, sondern es geht darum, in die Geste den ganzen Empfindungsablauf einzubringen; ob entschlossen oder zaghaft in seiner Dynamik.Dabei allerdings die graduellen Schwankungen der Linie, die Mitteilung berücksichtigend.

GÖTZE: Hat die Farbe einen Selbstwert?

SCHUMACHER: Die Farbe hat nur einen Wert innerhalb der anderen Elemente des Bildes. Die Farbe muss sich unterordnen. Zeichnung und Farbe muss integriert werden im Bild. Das sind alles Beziehungen, Verbindungen, die, wenn es ein Bild werden soll, miteinander verflochten sind. Es gibt kein vom anderen losgelöstes Teil!

GÖTZE: Wie erklärt sich der unterschiedliche Gestus: heute verhalten mit der Fläche, morgen heftig, zerstörerisch, verletzend?

SCHUMACHER: Das hängt von der Persönlichkeit, dem Temperament ab! Doch im Grunde liegt das Temperament von Anbeginn fest. Es gibt Variationen innerhalb dieser Lebensäußerung. Letztlich liegen diese Eigenschaften, sei's das Spontane, das Vehemente, das Bedächtige, nahe beieinander. Aber es muss klar in das "Bildwollen" einkalkuliert werden und dann die Korrektur eingebaut werden. Ein sich "gehenlassen" entspräche dem Tragisch-Sentimentalen, während die intellektuelle Überschaubarkeit das Gleichgewicht in der Mitteilung gewährt.

GÖTZE: Welche Rolle spielt der Zufall im schöpferischen Prozess?

SCHUMACHER: Für mich ist der Zufall von außerordentlicher Wichtigkeit. Ich stelle meistens hinterher erst fest, dass mir etwas zugefallen ist, was ich momentan gar nicht erkannte. Wenn ich den Zufall nicht sofort gewahre, ist er verwirkt. Allerdings: wenn ich ihn in meine Malerei eingebracht habe, dann ist er ein Fall, ist er licht- und haftbar geworden.

GÖTZE: Linie zur Fläche zur Linie - sind diese unabhängig voneinander denkbar?

SCHUMACHER: Linie und Fläche sind voneinander abhängig. Es kommt auf die Veranlagung an, welche Mittel überwiegen, Linie oder Fläche oder Farbe.Bei mir ist es so, dass die Linie eine große Bedeutung hat. In meinen Bildern umschließt sie einen Raum, bringt Figuren hervor, die ich nicht kenne, die neu für mich sind: die Linie dringt in die Farbe...

GÖTZE: Entspricht dem schöpferischen Akt das Experiment?

SCHUMACHER: Jedes Bild ist ein Wagnis, ein Experiment, weil ich immer wieder versuche, aus meinem Sichtkreis auszubrechen. Ich muss das Wagnis, das Experiment vornehmen, denn die schon erreichte Form ist ja nur die Wiederholung eines einmal erkannten Gestaltungsprinzips. Dabei kann man dann nicht mehr von einem schöpferischen Akt sprechen. Insofern muss für mich jedes Bild das Wagnis beinhalten.

GÖTZE: Ist die Dreidimensionalität eine beständige Versuchung?

SCHUMACHER: Ich versuche bei meinen Bildern den Raum nach vorne zu bringen, bzw. den Raum nach hinten zu gestalten. - Das ist ja immer ein Raum! Ich will die Fläche überlisten in die Tiefe des Raumes zu kommen. Ich will die Vorstellung schaffen, da ist mehr als nur die flache Seite der Leinwand.Wenn ich vielerlei vorbaue, durch Über- und Untermalungen erziele ich Raum, Bildraum, Vorstellungsraum...
Meine Bilder haben viele Zustände! Sie wurden nicht auf das Ziel hin durchgeführt. Sondern sie beginnen irgendwo, sie wachsen zu einem Bild im Laufe des Malprozesses. - Dort mache ich eine Linie, dort mache ich eine Farbe, dann übermale ich und dann lösche ich was aus, dann kommt was Neues hinzu... Es ist ein steter Dialog mit dem Bild! Auch indem ich dem , was ich getan habe, Antwort gebe.

GÖTZE: Gibt es für jede neue Arbeit zuvor ein Ereignis?

SCHUMACHER: Der Zwang, ein Bild zu "explorieren" ist unerlöschlich! Äussere Anlässe gibt es verschiedentlich: beispielsweise der Jahreszeitenwechsel, die unterschiedlichen Wetterverhältnisse, Stimmungen von denen ich abhängig bin. Dies sind, grob gesprochen, die Einflüsse, die zu meiner Arbeit den Rahmen bilden. - Der künstlerische Prozess bleibt hiervon unberührt, er ist konstant.

GÖTZE: Zeichnet sich die Lösung einer bildnerischen Idee auf Dauer ab?

SCHUMACHER: Soviel ich richtig verstehe, ist das das, was einmal als richtig erkannt wurde, das die Kontinuierlichkeit gewährt! Es gibt Veränderungen innerhalb des Weges, den ich gegangen bin, es gibt Nebenwege die jedoch immer wieder in den Hauptweg einmünden. Die Grundidee ist von Anbeginn geblieben, ist mit den Jahren souveräner, ist einfacher geworden. Gerade meine letzten Bilder zeigen, dass sie in der Farbe ziemlich einfach wurden. Früher malte ich viel farbiger, allmählich reduzierte ich meine Bilder auf den Gesamtton, auf die Gesamtwirkung, die mir sehr wichtig ist. - Dies ist natürlich ein Reifeprozess, den man in jungen Jahren nicht haben kann:persönliche Erfahrungen, Welterfahrung. - Die Weltsicht wurde mit den Jahren einfacher, weniger kompliziert, hat sich auf das Wesentliche beschränkt.

GÖTZE: Was ist der Impuls der verbalen Benennung eines Bildes?

SCHUMACHER: Die Titulierung meiner Bilder ist eigentlich unabhängig von dem Inhalt meiner Bilder. Ich benenne meine Bilder mit erfundenen Namen, weil ich der Meinung bin, das Bild muss, genau wie der Mensch einen Namen haben, um es auch bezeichnen zu können. Früher gab ich meinen Bildern Ziffern, aber diese sind so flüchtig! Der Titel eines Bildes ist lediglich die Bezeichnung, der Inhalt bleibt davon unbenommen. - Ich könnte natürlich gegenständliche Bezeichnungen nehmen, doch diese wären für den Betrachter irreführend, der unter Umständen nach dem benannten Sujet suchen würde, anstatt sich auf das Bild einzulassen. Durch die Eigennamen, die ich wähle, provoziere ich bei dem Beschauer eine schöpferische Auseinandersetzung, ein Erlebnis.

GÖTZE: Steht das bildnerische Wirken als archetypische Korrelation zur Welt, das selbst zur Welt wird?

SCHUMACHER: Natürlich! Die Welt und meine Bilder, meine Stellung innerhalb dieses Kreises, in dem ich mich bewege, bilden eine Einheit. Dies ist meinen Bildern auch ablesbar! Aussen und Innen verschmelzen zu einem Ganzen; die Welt als Erlebnis in das Bild hineingetragen, bildet mit mir eine Einheit... Es formen sich Fragen, Herausforderungen...

Gerhard Götze
NIKE NEW ART IN EUROPE No. 29

Pit Kroke

Ein Interview

GÖTZE: Du studiertest Anfang der 60er Jahre an der HBK in Berlin Bildhauerei bei Uhlmann, maltest aber stattdessen und machtest abstrakte Filme. Auch heute bezeichnest du dich als Maler, machst jedoch respektable Stahlskulpturen, mit denen du zum Ende des Jahres eine Tournee vom Städtischen Museum für Moderne und Gegenwartskunst in Bologna über das Lehmbruck Museum (1990) in Duisburg nach Wien zu den dortigen Festwochen unterninimst. Wie erklärt sich diese Paradoxie?

KROKE: Als ich dir zwischenrein einmal sagte: ich sei eigentlich Maler, war das provozierend gemeint, weil du bis dato nur von Skulpturen wußtest Hätte ich stattdessen Bergsteiger gesagt, wäre die Paradoxie klar gewesen.
Ja, Maler Bildhauer, die gewünschte Paradoxie. Eine unliebsame Aufgabe, die Epochen auseinander zu dividieren. Zur Erläuterung kann ich anführen: Degas, Picasso und viele andere machten auch noch wichtige Skulpturen.
Früher, in der Studienzeit, war ich als Maler ohne Boden und zum Bildhauer, ja das war mir klar, fehlte alles: Reife, Tiefe und die Standbeine; natürlich auch die Mittel, denn Skulptur, die aus dem Zimmer lebt, interessiert mich höchstens im Kontrast.
Doch zurück zu deiner Frage: Maler Bildhauer eine Paradoxie? Damals hat es mich stark verunsichert, heute sehe ich diese »Dualität« als beglückende Ergänzung.

GÖTZE: Nicht unwesentlich für deine skulpturale Arbeit war, da du dich während deines Studiums praktisch mit Architektur beschäftigtest, sie auch zeitweilig ausübtest, die heute eine unverkennbare Eigenschaft deiner Skulpturen mitbestimmt: Simultaneität, sprich: RAUM/ZEIT/VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT

KROKE: Würde der Auftrag an den Architekten in mir die volle Bandbreite der skulpturalen Möglichkeiten und Freiheiten einbeziehen, wäre ich von der Architektur fasziniert. Da es aber diese Freiheit nicht annähernd gibt, ist die Skulptur das Ideale Behältnis tiefgehender Inhalte In größtmöglicher Freiheit.

GÖTZE: Eine Konvergenz zwischen deiner Malerei und Skulptur tritt mitunter im Vokabular zutage. Suchst du die Nähe des einen Mediums zum anderen?

KROKE: Ich glaube, da muss ich sagen wie die Entwicklung bei mir lief. Anfänglich zog ich mal die Malerei, mal die Skulptur vor. Immer wenn es in einem der Medien große Schwierigkeiten gab, wich ich aufs andere aus. Später kam der Versuch der Vereinigung, d. h. die bemalte Plastik. Heute dagegen würde Ich statt Konvergenz, wie du sagtest, von Parallelität sprechen, beiden gewinne ich mit Vergnügen ihre spezifischen Eigenschaften ab, und gerade dadurch gewinne ich »unabhängige« Erfahrungen, die sich oft dann weiterentwickeln und auch ins andere Medium einfließen können.

GÖTZE: Bisweilen arbeitest du mit einer »variablen Linie«, die auch als »Furche« in der Fläche deiner Skulpturen hervortritt, z. B. bei »LONOS« , es ließe sich auch von einer »sukzessiven Linie« sprechen, ist das ein Kunstgriff?

KROKE: Das was du mit» verlobter Linie« und weiter mit, "Furche" bezeichnest, ist ein Ausstellen eines Flächenteils, eine Intensivierung der Fläche entsteht, eine Vibration; möglicherweise liegt darin eine Entwicklung für die Fläche, das hängt mehr von meiner »inneren Absicht« ab, als daß ich dies cool als Kunstgriff einsetzen könnte.

GÖTZE: Verschiedentlich treten Elemente christlicher Ikonographie in deinen Skulpturen auf, z. B. KMUZ, TOR, usw., hat dies eine persönliche Bewandtnis?

KROKE: Kreuz, Tor, Rad usw. sind inhaltsträchtige Symbole aller Kulturen, die noch immer ihre Kraft bewahrt haben. Vielleicht bemüht sich jeder um die Deutung in seiner ureigenen Stellungnahme? Das hat mich weitergeführt und ich finde, das hat Dieter Ronte in dem Katalogbeitrag zu meiner Skulptur treffend ausgedrückt, wenn er von der UR-Skulptur spricht: »Seine Plastik löst sich, er versucht die UR-Skulptur, so wie Goethe die UR-Pflanze gesucht hat, weit sich in ihr die Anschauung und die Idee miteinander verbinden.«

GÖTZE: Kreuz, Tangente (die Tangente ist auch in der Kreuzform immanent!), Linie, ausladende Volumina, Fläche als reduzierter und autonomer Raum sind die Synonyma deines plastischen Vokabulars, und doch, unzweideutig künden deine Skulpturen trotz ihrer Formenstrenge einen stereometrischen Akzent, der mit dem Rombus kokettiert und seinerseits in der Flächendehnung aufgeht, wie kam es dazu?

KROKE: Die Wahl des Stahlblockes war ursprünglich ökonomischer Natur. Ich wollte große Skulpturen machen. Kein anderes Material schien sich für meine Absichten dazu zu eignen. Anfänglich überwog die Starrheit des Materials, nach und nach jedoch bog ich sie hin und heute ist sie mir ein willkommenes Regulativ zu den ausladenden Volumina, wie du sagst

GÖTZE: Wie du erwähntest, verwendest du Stahlblech für deine Skulpturen, auf das du partiell als kontrastierendes Mittel wuchtige Farbgesten aufträgst, mitunter erscheint diese »Pigmentierung« als zusätzliche Haut, als Sirene ...

KROKE: Ja, ja, du gibst mir die Möglichkeit, nochmal auf die Frage des Nebeneinander von Malerei und Skulptur einzugehen. Wie gesagt, am Anfang war ihre Konvivenz problematisch; dann versuchte ich wohl, sie zu integrieren, d. h. ich malte auf den Skulpturen; weniger dass ich ihnen eine Haut gab, nein, Ich malte formal und mit dem Duktus gegen die Tektonik der jeweiligen Skulptur, etwas ungemein Lebendiges entstand, das zu einer Zeit, als die Skulpturen noch etwas Starres hatten. Als sie später diese Starrheit verloren hatten und immer mehr einen autonomen skulpturalen Ausdruck gewannen, verzichtete ich auf die intensive farbige Akzentuierung. Ja, das stumpfe, samtige Schwarz half die »Intensität« meiner Skulpturen besser zu erleben. Mit dem Schwarz verschwand die Malerei aus meiner Skulptur und von da an konnten beide gut nebeneinander ihr gemeinsames Leben führen.

GÖTZE: Gab es vor der Verwendung von Stahlblech andere Materialien, mit denen du künstlerisch außer der Malerei zugange warst?

KROKE: Da war wohl die Bronze, die mich anzog, aber aus erwähnten wirtschaftlichen Gründen nicht in Frage kam. Hätte ich mit Bronze gearbeitet, hätte meine Skulptur heute ein anderes Erscheinungsbild.

GÖTZE: Würdest du deine Skulpturen, die wie heidnische Gottheiten im Raum, in der Landschaft figurieren, einem Symbolkanon zurechnen?

KROKE: Ich mache Kunst und baue keine Symbole. Alle Kunst, die in eine bestimmte Tiefe reicht, hat Inhalte, die die Betrachter oft als symbolhaft bezeichnen.

GÖTZE: Gibt es Künstler denen du dich durch ihr Werk zugehörig fühlst?

KROKE: Eine Zugehörigkeit könnte ich nicht einmal sinnvoll konstruieren. Natürlich habe ich im Hinterkopf mehr oder weniger die ganze Kunstgeschichte.
Sicher, da gibt es Arbeiten von einigen Künstlern, die mich sehr interessieren, also offenbar mit mir etwas zu tun haben; nein, einzelne Künstler zu nennen wäre reduktiv.

GÖTZE: Was hat dein skulpturales Wirken am nachhaltigsten geprägt?

KROKE: Mein skulpturales Wirken? Mein Wirken allgemein? Ja, dies ist die Suche nach Klarheit! Darum Uhlmann, darum Sardinien, eine Insel der starken Kontraste in Mensch und Natur. Auch dieses Licht, das nicht zum Sichverstecken taugt und deshalb auch der lange Weg, die Reifung , ja, die Reife gehört dazu, ohne sie wäre alles zu possionat oder auch das Gegenteil davon; die Balance, die Offenheit, das Neue immer wieder gelten zu lassen, ist wohl wesentlich für mich und dafür für meine Arbeit.
Ja, Klarheit gleich Freiheit , und diese bedeutet für mich, das aufnehmen zu können oder zu verarbeiten, was spontan erwächst. Kein einengendes Credo zu haben, kein formales oder ideologisches Korsett, sondern damit zu loben, die Vision Form werden zu lassen. Dies prägt wohl meine Arbeit am stärksten.

GÖTZE: Indessen stehst du am Anfang einer ungewöhnlich raschen Anerkennung deines Werkes, wird dies Folgen für dein weiteres Wirken haben?

KROKE: Ich bin vor 25 Jahren nach Sardinien gegangen, zu einer Zeit, als viele es noch mit Sizilien verwechselten. Es waren indes viele herrliche Jahre in der Ursprünglichkeit. Da schlägt man tiefe Wurzeln oder läuft erschreckt davon! Nun, diese tiefen Wurzeln nähren mich heute und geben mir Halt, damit ich nicht mit meinen Skulpturen umfalle
Deine Frage meinte doch die möglichen negativen Folgen des nach Außen tretens?

GÖTZE: Bisher lebtest du in der Stille, der Abgeschiedenheit Sardiniens, wird dich der Ausstellungsbetrieb nicht allmählich enervieren?

KROKE: Meine bisherigen Ausstellungen empfand ich als ein' Auf die Probe Stellen" meiner künstlerischen Arbeit, desto mehr freue ich mich, wenn in Zusammenarbeit mit sensiblen Museumsleuten Gesamtsituationen entstehen, die funktionieren. Das heißt, bei einer Ausstellung wie meiner, die vom Süden nach Norden geht, also in vier ganz verschiedenen kulturellen Landschaften aufgebaut wird die im Herbst in Bologna erstmals im gesamten Umfang dastehen wird, 18 große ,Skulpturen plus Zeichnung und Malerei
wird in vier unterschiedlichen Stationen, Bologna, Wien, Duisburg, Bremen, in jeweils »neuer« Anordnung arrangiert werden. Dadurch erwarte ich mir durchaus neue Erlebnisse, die, ja in den Arbeiten drinstecken, aber nur in der Neuanordnung in einem anderen Rahmen zum Ausdruck kommen. Das sind Erlebnisse,die egoistisch gesehen, ich ohne eine solche Ausstellung nicht haben könnte. Statt enervieren steht bereichern!

GÖTZE: Es gibt Ausstellungspläne in Amerika, willst du zum jetzigen Moment darüber sprechen?

KROKE: Sei der gegebenen Ausstellungsfolge von Süd nach Nord ist Amerika die choreographische Konsequenz.

Gerhard Götze
NIKE NEW ART IN EUROPE No. 30

Es ist mir nicht wichtig,
Dinge zu benennen,
für die ich schon
eine Form gefunden habe…

Ein Interview mit HEINER BLUM


GÖTZE: Wie kommst du zu solchen Fragestellungen: "Warum fault das Gold nicht, das aus der Erde kommt, und warum gibt es so wenig davon?"

BLUM: Diese Fragestellung entstammt einem Zyklus von Fragen, den ich seit mehreren Jahren anlege. Der Beginn dieses Zyklus fällt zusammen mit dem Besuch in der Bibliothek von Wolfenbüttel, die ich aufsuchte, um mich mit barocken Figurengedichten und Emblemata zu beschäftigen. Dies in einer Zeit, in der ich versuchte, neben der Arbeit an meinen Bildern, auch Hintergrundmaterial einzusehen, d.h. Material von Menschen, die ähnlich gearbeitet haben. Zuerst kam ich natürlich auf die "konkrete Poesie", Gomringer, Franz Mohn usw., und dabei fand ich zufällig einen Verweis auf barocke Figurengedichte. Beispiele fand ich nun in Wolfenbüttel, die in Form von Springbrunnen, von Bäumen geschrieben waren; und den Hinweis, daß diese Art der Schreibweise auf griechische Priester und Dichter zurückreicht, die Gedichte auf Panflöten geschrieben hatten. Mit der Zeit modifizierten sie diese Methode, schrieben ihre Gedichte nicht mehr auf Panflöten, sondern auf neutralem Untergrund..., und schufen damit einen Gegenstand in einer abstrahierten Form. Außerdem stieß ich in Wolfenbüttel auf eine andere barocke Erscheinung, nämlich Johann Philiph Harsdörfer (1607 - 1658), einen in seiner Zeit unangefochtenen Universalgelehrten und Dichter. Wodurch wir ihn heute noch kennen, ist seine Grammatik namens "Nürnberger Trichter". Von ihm fiel mir ein dreibändiges Werk in die Hände: "Philosophische und mathematische Erquicklichkeiten", eine Sammluing diffiziler Lebensfragen, welche er mit religiös-spitzfindigen Auslegungen zu beantworten trachtete, die auch heute noch aktuell sind, da wir sie trotz unseres größeren Wissens auch nicht beantworten können. Durch Harsdörfer begann ich dann angeregt, ganz spezifische Fragen zu notieren, übernahm auch zum Teil Fragestellungen von ihm, auch "Warum fault das Gold nicht, das aus der Erde kommt..."

GÖTZE: Verfügen wir wirklich über ein größeres Wissen als die Menschen des Barockzeitalters?

BLUM: Durch den Erkenntnisstand heutiger Wissenschaft verfügen wir über mehr Wissen. Gerade im naturwissenschaftlichen Bereich wurden Lücken geschlossen, wodurch einige wichtige Fragen kurz vor ihrer Beantwortung stehen.

GÖTZE: Dabei erhebt sich die Frage, ob sich durch partielle Antworten auf kausale Zusammenhänge, die grundsätzlichen Probleme, die mit dem Dasein des Menschen unterschiedslos verbunden sind, klären?

BLUM: Für mich ist es faszinierend, Wissen zu haben, das sich über Millionen von Jahren erstreckt... hiervon unberührt bleibt der Mensch in seinem alltäglichen Dasein, stets wird seine biologische Einheit, die eine bestimmte Anzahl von Jahren währt, ihn auf den Käfig seiner Träume, Ängste und Zwänge verweisen...Daran wird sich mit Sicherheit nichts ändern.

GÖTZE: Mißt sich nicht Wissen an der Erfahrung, an dem, was einen Sinngehalt bietet...?

BLUM: Du sprichst damit einen interessanten Punkt an: bevor ich mit den Arbeiten anfing, die nun Gegenstand unseres Gesprächs sind, z.B. KEINE GEFANGENEN; DIE BEKEHRUNG DES PAULUS; FEUCHT UND TROCKEN; ROTES LICHT oder auch die JONNY WALKER - Serie, machte ich zum einen Fotos und las viel - und beschäftigte mich mit Dingen der Vergangenheit (d.h. mit Dingen außerhalb meiner Lebensspanne). Dabei stieß ich auf drei Autoren, die für meine Arbeit grundlegende Bedeutung erlangten: Platon, Flaubert, Malraux, deren Schriften im Höchstmaß existentiell sind. Dadurch begann ich mir Gedanken zu machen, die dazu geführt haben, daß diese Bilder entstanden.

GÖTZE: Du verstehst deine Arbeiten als Bilder?

BLUM: Meinetwegen, benenn sie als Bilder. Es ist mir nicht wichtig, Dinge zu benennen, für die ich schon eine Form gefunden habe. ...
Ich glaube, es gibt ein Grundvokabular, das allen Menschen gemeinsam ist, das sind existentielle Dimensionen und formale Zeichen, mit Hilfe derer man sich verständlich machen kann. Es geht mir nicht darum, mich mitzuteilen, das ist etwas, was mir ganz fremd ist. Allgemein gesprochen: Künstler sind ja Menschen, die nicht aus sich heraus Welt erschaffen, sondern nur in Korrelation zur Welt treten. Über den Einzelnen kommt es dadurch zur Äußerung über das Ganze. Was nicht heißt, daß der Einzelne die Äußerung hervorgebracht haben muß, mitunter entscheidet nur die Verhältnismäßigkeit... Vielleicht ist das Ganze auch nur ein Spiel zwischen sich und der Welt, in dem verschiedene Äußerungen hervorgebracht werden, die einerseits den Vorgang des Spiels reflektieren und andererseits das Individuelle berücksichtigen und zugleich eine Betrachtung der Welt sind.

GÖTZE: Momentan beschäftigst du dich vorwiegend mit naturwissenschaftlichen Schriften. Wie baust du dabei die Brücke zur Kunst?

BLUM: Im Gegensatz zur Naturwissenschaft ist die Kunst mittlerweile ein sehr verschachteltes System, sie kommt mir wie eine endlose Unendlichkeitsschlaufe vor, die selbstbezogen bleibt.

GÖTZE: Ist das eine Gefahr für die Kunst?

BLUM: Das ist mir egal!

GÖTZE: In welcher Position siehst du dich selbst?

BLUM: Es fällt mir jetzt ad hoc sehr schwer, mich als Künstler an dieser Stelle einzuführen! Das ist so eine Zwiespältigkeit: ich habe nie den Vorsatz, Kunstwerke zu machen. Ich kann natürlich über meine Arbeit sprechen, gelange dabei aber nicht zu der Absicht, Kunstwerke herstellen zu wollen. Meine Bilder entspringen eher einem persönlichen Bedürfnis nach Ausdruck, und dann sind sie da und funktionieren in dem Kontext... Man könnte fast sagen, in den Bereich der bildenden Kunst bin ich geradezu heineingerutscht... Wie du weißt, habe ich in Kassel visuelle Kommunikation studiert; fotografierte eifrig, hatte mit der bildenden Kunst nichts am Hut.- Doch ich muß noch ein Stück zurückgehen: bevor ich mit der Fotografie anfing, malte ich, unterließ dies jedoch während des Studiums, um das Interesse an Bildern, die nicht ausschließlich der sehbaren Wirklichkeit entsprachen, nicht zu fördern. Wohl einen prägenden Eindruck hat gegen Ende meines Studiums ein Vortrag des Wiener Künstlers Peter Weibel über Wahrnehmungstheorie, Morphologie in der Kunstgeschichte, gehabt. Und natürlich die Beschäftigung mit der Literatur, zu der ich über den Fotografen Walker Ivans, der ein Literaturstudium an der Sorbonne absolviert hatte, kam. Das heißt, durch ihn stieß ich auf Baudelaire und Flaubert; das Resultat war, wie nahe Bilder und Literatur sein können.

GÖTZE: Bist du den persönlichen Spuren von Platon, Flaubert oder Malraux je nachgegangen?

BLUM: Nein! Es ist ja so, daß man die Orte in sich selbst wieder findet, was die eigentliche Erfahrung wird.

Gerhard Götze
NIKE NEW ART IN EUROPE No. 31

»Die Form ist das Element
zur Verräumlichung«

Ein Interview mit JENS TRIMPIN


GÖTZE: Der Gebrauch der Linie in Ihren Skulpturen erinnert an den Gebrauch der Linie in der Malerei: Linie zur Fläche...

TRIMPIN: ...ja, das ist zwar neu für mich, wäre eine Möglichkeit der Betrachtung, ganz sicher… , in der Fläche ähnliche Merkmale aufzuweisen. Das was Sie als Linie bezeichnen, ist entweder ein Grad oder es ist eine Furche: also entweder ist es eine Höhe oder es ist eine Tiefe! In Wirklichkeit ist es der Punkt, wo zwei Flächen durch das Volumen aneinanderstoßen, sich begrenzen. Von daher ist es eine räumliche und graphische Qualität.

GÖTZE: Bei meiner Frage ging ich nicht so sehr von dem graphischen Eindruck aus, wenn sich davon überhaupt sprechen läßt, sondern von der Aufteilung der Volumina, die eine »Brechung«, eine Licht und Schattenseite bewirkt, und dies scheint mir, ist ein wesentliches Merkmal Ihrer skulpturalen Arbeit?

TRIMPIN: Ja, das ist sie absolut! Wie ich vorangehe, ohne Skizze, geradezu an den Block. Das beinhaltet eine grundsätzliche Vorstellung von ein oder zwei Volumenblöcken, allenfalls, respektive dem Prozeßl Das was die andere Seite wäre, ist das virtuell Vorhandene. Aber das ist eine Bearbeitungsweise, die ich nicht für wichtig erachte Meine Vorgehensweise ist langsam, kontinuierlich. Nicht das weghauen des Materials steht im Vordergrund...

GÖTZE: Ihre Flächen sind immer begrenzt, nie unendlich...

TRIMPIN: ... sie sind eine offene Struktur, sozusagen, die eine Fortsetzung erlauben wurde, zumindest die Vorstellung davon. Aber es ist nicht so, daß die Skulpturen fertig waren. Nein, vielmehr ist es ein erster oder zweiter Zustand. Von daher ist auch eine Festschreibung der jeweiligen Form unmöglich. Im Nachhinein besteht immer die Möglichkeit der » Wiederbelebung«. Gerade das Prozessuale finde ich sehr wichtig.

GÖTZE: Gibt es das Fertige im schöpferischen Prozeß?

TRIMPIN: Es scheint so, allerdings entsprechend kalt sind die Ergebnisse oft wahrzunehmen. Auch manches was sich als Bruchstückhaft verkauft, hat vielmehr den Anspruch des Fertigen. Hierbei denke ich an die Arbeiten von Hrdlicka, die fur mich das pervertierte Resultat einer erstmals glaubhaften fragmentarischen Form sind. Die Arbeiten Hrdlickas verkörpern eine Mißachtung des Fragmentartschen: der Form, die ihren Ursprung im nicht Vollendenkönnen findet. (Als glaubhaftes Beispiel sei hier nur Michelangelo erwähnt!) Zugleich ist es eine Mißachtung der fragmentarischen Form, die so sein will, aber zeitgebunden so sein will! Also Rodin! Das macht noch einen Sinn! Auch wenn er nur historisch ist. was uns in der Betrachtung die Möglichkeit gibt, zu relativieren. Aber wenn dann ein Herr Hrdlicka dies zum Arbeitsprinzip erklärt, nun ja, was soll man davon halten?

GÖTZE: Die Linie in Ihren Skulpturen, darauf muß ich immer wieder zurückkommen, nimmt einen abrupt unterbrochenen Verlauf. Ist dies Absicht?

TRIMPIN: Dadurch vermeide ich eine konstruktive Manifestation. Das Tektonische soll im Vordergrund stehen. A uch der organische Anschein des Rohstoffs soll bewahrt bleiben, der die Materialitat bestimmt, denn er ist das eigentlich stilbildende Element. Ohne ihn verklären zu wollen! Marmor ist mir dabei am liebsten.

GÖTZE: Welche Eigenschaften zeichnet den Marmor aus?

TRIMPIN: Ich würde sagen, die Affinität zum Wasser; der Bezug zur Tradition. Das sind zwei wesentliche Aspekte! Denn so wie ich arbeite, und das was dabei erscheint, das kann man für sehr altmodisch halten. Es ist immer noch der Block, das Blockvolumen. Nicht der Durchbruch! Keine Löcher! Es ist nicht das Mindern der Masse..., das waren einmal Errungenschaften gewesen. Mit Negativvolumen zu arbeiten wie Henry Moore das nennt. Ich vermeide dies, denn es widerspricht dem Wesen des Steins, der durch seine Dichte, durch seine Masse lebl Das sind grundsätzliche Eigenschaften, die ich bewahren will. Dabei muß der Arbeitsprozeß dem Material entsprechend verlaufen, nicht zu schnell und mir immer die Möglichkeit belassen, als Reflektor zu reagieren, also auch betrachten zu lassen. Zum Schluß erscheint dann das, was ich vorher nicht »so« wissen konnte. Das prozessuale Machen bleibt vorrangig, denn die Stufe des Vorherigen zeichnet das Resultat.

GÖTZE: Sie begreifen sich als Skulpteur?

TRIMPIN: Ja, im Unterschied zum Plastiker! Ich würde sogar sagen, daß sich ein Plastiker wesensmäßig von einem Skulpteur unterscheidet.

GÖTZE: Was verkörpert die Form für Sie?

TRIMPIN: Die Form ist das Element zur Verräumlichung, deshalb entbehren meine Skulpturen auch den rechten Winkel. Der rechte Winkel oder überhaupt symmetrische Eigenschaften sind ja Zeichen des Todes, des Unlebendigen.
Klar, meine Skulpturen sollen auch wieder zerfallen, nicht ewig dauern, ihre Form verlieren. Das Ideale wäre, die Witterungsverhäftnisse, die Zeit würde ihnen die Form nehmen, ihnen eine andere geben. Gleichsam wieder die Verräumlichung, die dem Leben und dem Sterben angehört

GÖTZE: Warum verwenden Sie Stein als ausschließliches Material?

TRIMPIN: : Der Stein erfordert die direkte physische Arbeit, die mir sehr wichtig ist! Das Wechselspiel zwischen dem Blut, das das Gehirn braucht, um zu reflektieren, das die Muskeln brauchen, um es herzustellen; dies hat mich immer ans Orgelspiel erinnert, wo der Organist auch den ganzen Körper einbringen muß. Übrigens: In der Musik, weil wir am Rande davon sprechen, gibt es eine Parallele zu meiner Arbeit, nämlich der Cool Jazzer Lennie Tristano; herb sein Spiel auf dem Piano, ganz unsentimental und doch nicht virtuos, Eigenschaften, die meiner Arbeitsweise zugrunde liegen.

GÖTZE: Volumen und Maß in Ihren Skulpturen, entsteht dies durch die Vorgabe des Rohblocks?

TRIMPIN: : Aus purem Zufall! Aber im Ursprungssinne des Wortes! Es fällt einem zu, weil man inzwischen mit dem »Ding« umgehen kann. Das ist ja gerade der Reiz, durch das Geistige kann man die Qualität des Stofflichen wahrnehmen!

GÖTZE: Haben Sie ein Verhältnis zum Raum?

TRIMPIN: Ich habe kein Verhältnis zum Raum, eher zum Raum als Gefäß für die Massen! Sozusagen das Gegenteil! Meine Skulpturen sind ja nichts Ausgedachtes, sondern etwas Vorgestelltes!

GÖTZE: Das Vorgestellte berücksichtigt den Rohblock?

TRIMPIN: Zum Teil! Es hat durchaus etwas mit dem Rohblock zu tun, aber auch mit den »zeichnerischen Notizen, so will ich sie lapidar nennen, die Einfall und Prozeß über lange Zeiträume verschmelzen. Allerdings ist dies nicht zu verwechseln mit dem Entwurf, den es nicht gibt! Mir geht es nicht um Moden, sondern um methodisches, kontinuierliches Arbeiten!

Gerhard Götze
NIKE NEW ART IN EUROPE No. 34

»Die Struktur der Skulptur ist
etwas Fortzusetzendes…«

Ein Interview mit dem Bildhauer REINHARD SCHERER


GÖTZE: Massiveisen und Stahl ist Ihr ausschließliches Arbeitsmaterial. Worin besteht die Affinität zum Material an sich?

SCHERER: Massives Eisen ist das Material, das meinen Vorstellungen vom "Bauen im Raum" entspricht. Natürlich habe ich während des Studiums auch so unterschiedliche Materialien wie Ton, Gips, Stein und Holz ausprobiert. Auch die ersten Arbeiten in Eisen begann ich in dieser Zeit. Mein Interesse, im Raum bzw. mit dem Raum zu bauen, führte zu einem Material, das konstruktiv eingesetzt werden kann. Geschweißte Verbindungen, wie ich sie häufig bei meinen Arbeiten verwende, werden oft durch die Lage und Abfolge von Formteilen statisch voll belastet. Über diese Möglichkeiten hinaus, läßt sich massives Eisen sehr präzise bearbeiten. Als Halbzeug in Form von Platten, Blechen, Vierkantstangen und Knüppel hat massives Eisen während der Herstellung einen komprimierenden Prozeß durchlaufen. Die physikalische Aussage "Materie = Energie" scheint mir bei diesem Material besonders sinnfällig.

GÖTZE: In Ihren Skulpturen erscheint mir die konzentrische "Bewegung" maßgeblich?

SCHERER: Täglich sind wir doch Veränderungen ausgesetzt; Leben ist ein Prozeß, alles ist fließend. Es gab das Gestern, es kommt das Neue. Etwas von dieser Bewegung möchte ich als "Moment" in meinen Arbeiten festhalten.

GÖTZE: Was bezeichnet für Sie die augenscheinlich "offene Form", die das Erscheinugnsbild Ihrer Skulpturen prägt?

SCHERER: Materie und Raum sind für mich gleichwertige Elemente. Durch die offenen Formen "verzahnen" sich die Skulpturen mit dem Raum. Erweitern wir in Gedanken den Raum den eine Skulptur umgibt, relativieren sich die Größenverhältnisse. Die Skulpturen regen zum "weiterbauen" im Kopf an.

GÖTZE: Die Flächen dieser Skulpturen sind wie "Sedimente"vergangener oder erahnter Zeit, berücksichtigend, daß die Zeit die Möglichkeit gibt, ein Feld, eine Fläche, Raum individuell zu begründen...Entspricht dies Ihrer Absicht?

SCHERER: Zeit und Raum scheinen uns auf den ersten Blick wie selbstverständliche Bekannte. Daß dies am Beispiel des Wassertropfens im Fluß auf dem Weg zum Meer relativ wird, begründet auch das naturwissenschaftliche und philosophische Interesse an diesem Thema. Das Woher, die Frage nach dem Wohin, nach der nächsten "Etappe", beschäftigt doch die meisten von uns. Jeder trägt hier sein Weltbild mit sich herum. An der Skulptur sind Flächen und Leere - also Bekanntes und Unbekanntes, Verdichtungen und Überlagerungen als faktische "Etappen" gesetzt, seine individuelle Ahnung von Zeit und Raum ist jedem Betrachter selbst gegeben.

GÖTZE: Die Gerade nimmt zumeist in Ihren Skulpturen einen konkaven Verlauf, der im axialen wie horizontalen wie vertikalen Bereich manifestiert wird, ansonsten bleibt es bei dem Gefüge (um hier auch zugleich einen Titel Ihrer Arbeit aufzugreifen.!), den ich einmal als Zufall benennen möchte. Spielt dieser in Ihrer Arbeit eine Rolle oder dient er dem Rhomboid als Anschein, als Vorwand?

SCHERER: 1980 ermöglichte mir ein Reisestipendium einen längeren Aufenthalt in Griechenland. Neben der archaischen Skulptur interessierte archaische Architektur. Als Schlüsselerlebnis wirkte das Ringfundament der Tholos von Epidauros auf mich. Von dem ehemaligen Rundtempel ist heute nur noch die unterste Steinlage, also ein geschlossener Steinring erhalten. Unglaublich viel Energie geht von diesem Ort aus. Bereits in frühen Kulturen steht der Kreis für Ganzheit - statisch-konstruktiv ist es eine Idealform. Mit meinen Skulpturen arbeite ich an der Peripherie des Kreises. Sie deuten an, aber sie vollziehen nicht. Das Setzen der Teilflächen, die häufig die Form eines Rhomboids haben, folgt einer psycho-physischen Haltung. Dies ist Anlaß und Absicht der Skulptur.

GÖTZE: Was unterscheidet Ihre Außenskulpturen von Ihren Raumskulpturen?

SCHERER: Die großen Außenskulpturen sind meist architekturbezogene Arbeiten. Dabei interessiert mich nicht nur die unmittelbare Umgebung. Ich versuche, den Stadtraum, die Biographie eines Ortes einzubeziehen. So entwickelte ich z.B. die zweiteilige Arbeit "Bug" und "Brücke" für die Fachhochschule in Kehl, die heute in den Kinzigauen steht, auf das ursprüngliche Landschaftsbild hin. Der bis etwa 1900 vorhandene Fluß wurde durch einen Kanal umgeleitet. Die Skulpturen wecken Assoziationen an ein Schiff, scheinen in der Auenlandschaft zu versinken, machen die neugebaute Hochschule zur Insel. Die Umgebung der Skulptur folgt dieser Idee: der Weg wird zum Steg, die Bäume wirken wie Pfähle im Wasser. Ein so intensives Eingreifen in das Umfeld ist natürlich ein Idealfall.
Im Laufe der Zeit entstanden auch Raumskulpturen, die auf vorhandene Räume reagieren. So ist z.B. die Arbeit "Fassung" von 1989/90 gezielt für einen Ausstellungsort gebaut.

GÖTZE: In den zurückliegenden Jahren trugen Ihre Skulpturen metaphorische Titel, indes ist die Metapher auf ein Minimum als Titel Ihrer Skulpturen reduziert, wie z.B. "Struktur", "Gefüge" usw., womit eine klare Dinglichkeit belegt wird. Weist dies auf eine Differenz zur "vergangenen Auffassung"?

SCHERER: Der Titel einer Skulptur ist immer nur ein Stichwort, ein Name. Es ist richtig, daß die neueren Arbeiten sehr knapp, sachlicher als früher, beschrieben sind.Es handelt sich nicht mehr um eine Zustandsbeschreibung, sondern um einen Hinweis zum Ausgangspunkt einer Arbeit, also eine Spur, eine Fährte.

GÖTZE: Man könnte versucht sein, in Ihren Skulpturen FLÄCHE und LINIE gepaart erscheint zu sehen?

SCHERER: Mein Ausgangsmaterial, Vierkantstäbe und Bleche bzw. Platten treten an den Skulpturen oft gemeinsam auf - die formale "Behandlung" ist aber gegensätzlich. Während ich die Vierkantstäbe zu großen Radien biege, sie also weiter mit Energie auflade, teile ich die großen Blechtafeln mit dem Schneidbrenner, segmentiere sie. Als Fragmente innerhalb einer Skulptur stehen sie für das Einzelne im Ganzen. Oft halten die Vierkantstäbe diese Fragmente zusammen, halten sie im Raum.

GÖTZE: Gibt es in Ihren Skulpturen ein durchgängiges Thema - auch wenn diese unterschiedliche Titel tragen - oder führen Sie verschiedene Themenstellungen, auch formaler Natur, in ihnen zusammen?

SCHERER: Unsere menschliche Existenz ist auch heute noch eng an unser motorisches Verhalten gebunden. Meine Skulpturen sind Setzungen, Interpretationen dieser motorischen Existenz, dies könnte man als zentrales Thema bezeichnen. Sie sind als plastisch-räumliche Aktion zu verstehen - Skulptur als Energiefeld.

GÖTZE: Bei "Eskalation" und "Raumfassung", zwei Außenskulpturen, findet eine Korrelation mit dem Erdreich statt, die wiederum auf eine Tendenz in "Diesseits-Jenseits" oder auf ihre Arbeit "Etappen" hinweist, die Jahre zurückreicht; besteht indes ein größeres Interesse, Ihre Skulpturen dem Erdreich einzubinden?

SCHERER: Das Spannungsfeld zwischen "im Raum bauen" und das "Einbinden" in das Erdreich - also gewissermaßen der Schwerkraft folgend - interessiert mich. Während die in den Raum gebauten Skulpturen Schatten werfen, liegen die Bodenskulpturen still, ruhend - der Betrachter muß unmittelbar herantreten um die Form wahrzunehmen, die weitere Umgebung der Skulptur tritt dabei völlig in den Hintergrund.

GÖTZE: Manfred Fath, der Direktor der Mannheimer Kunsthalle, schrieb einmal in Verbindung mit Ihren Skulpturen, daß diese menschliche Befindlichkeit, eine Art innere Architektur und Tektonik darstellen, gibt es diesen Aspekt wirklich oder ist er nur in Ihre Arbeit hineingelesen?

SCHERER: Statik und Dynamik, Stabilität und Instabilität - das sind die Pole aller Arbeiten. Das Labile, das Bewegte, der Eindruck eines Kartenhauses prägt häufig das Erscheinungsbild einer Skulptur. Das kann auch eine Zustandsbeschreibung sein. Menschliche Befindlichkeit ist natürlich individuell, d. h., jeder Betrachter bringt seine 'eigene Welt', seine 'innere Architektur' mit.

GÖTZE: Zunehmend werden Ihre Skulpturen im Außenbereich reicher an Ensembles, greifen Sie damit auf frühere Intentionen zurück, z. B. auf "hier und jetzt"?

SCHERER: Die mehrteilige Arbeit "hier und jetzt" von 1983 war zur Definition des eigenen Standpunktes einfach zwingend. Viele der folgenden Arbeiten leiten sich daraus ab. Um einen Raum so präzise wie nötig mit eigenen Mitteln zu definieren, greife ich oft weiter in das Umfeld ein. Dies führt dann meist zu mehrteiligen Lösungen.

GÖTZE: Welche Projekte stehen nunmehr aktuell zur Diposition?

SCHERER: Zunächst geht es um eine mehrteilige Arbeit für den Eingangsbereich der Fernmeldeschule im Universitätsbereich Stuttgart-Vaihingen. Das plastisch-räumliche Potential der Skulpturengruppe schafft einen Orientierungspunkt im Universitätsbereich, mit einer Höhe von ca. siebzehn Meter setzt sich die Skulptur mit der umgebenden Architektur auseinander. Unmittelbar vor dem Eingang begegnet der Betrachter zwei niederen Skulpturenteilen, die gegensätzliche Raumkanten bilden. Der ganze Eingangsbereich wird so zum Spannungsfeld. Bis zum Sommer 1990 wird diese dreißig Tonnen schwere Arbeit stehen. Ebenfalls eine Wettbewerbsentscheidung ist der Entwurf für den neuen Bahnhofsplatz in Bietigheim. Hier antwortet die Skulptur dem durch die Architektur entstandenen, halbkreisförmigen Platz durch einen diagonal im Raum gehaltenen gekrümmten Stab. Zwei gegenläufig angeordnete Skulpturenteile halten den Stab, sie vermitteln den Eindruck von ein- und ausströmender Energie. Die Skulpturengruppe interpretiert so 'Stadt' als einen Organismus, das additive 'Bauen in Etappen' weist auf eine geschichtliche Entwicklung hin. (Höhe ca 9,60 m, Breite ca 13 m, Tiefe ca 13 m, Gewicht ca 28 Tonnen). Diese Arbeit steht bis Ende 1990.

GÖTZE: Seit zwölf Jahren sind Sie nun freischaffender Bildhauer. Unzählige öffentliche Aufträge wie Ankäufe namhafter Museen kennzeichnet Ihren bisherigen künstlerischen Weg. Hatten Sie je mit dieser Entfaltungsmöglichkeit gerechnet?

SCHERER: Nun - das Neue ergibt sich aus dem Vorherigen. Natürlich denkt man am Anfang nicht in solchen Freiräumen, in solchen Dimensionen. Dazwischen liegen jedoch Jahre selbstgemachter Erfahrungen - manchen Ballast habe ich inzwischen abgeworfen - zumal ich bis heute alle - auch die großen Arbeiten - allein gebaut habe. Diese Erfahrungen sind natürlich ein Hintergrund, fließen ständig weiter bei neuen Arbeiten ein. Darüber hinaus mache ich gerne Wettbewerbe, liebe die zeitliche Konzentration auf eine Aufgabe, wo ich mich voll einbringen kann. In jeder Phase autonom zu bleiben, ist mir das Wichtigste.

Gerhard Götze
NIKE NEW ART IN EUROPE No. 35/36

Der Bildhauer
Pavel Schmidt

Ein Interview


GÖTZE: Als Beschauer deiner Arbeiten könnte man versucht sein, eine "psychogrammatische" Handschrift in diese hineinzulesen; geht diese Sicht völlig fehl?

SCHMIDT: Das ist wohl nur ein auffälliger Aspekt. Indessen bin ich sicher, daß die "Psychogrammatik" in meiner Arbeit - nicht zuletzt wegen der Erfahrung, die sich zwangsläufig in dem Arbeitsprozeß einstellt, sich abzuschwächen beginnt. Einmal erfahrene und erarbeitete Formen und Formzusammenhänge hinsichtlich des Raumes einer Architektur oder eines Blattes Papier, heben die "Psychogrammatik" an Bestand auf, lassen sie je nach Bedarf wieder abrufen.

GÖTZE: Ist dieser vermeintliche "Automatismus" nicht ein Unterfangen, stehen doch augenblickliche Zustände für sich, sind in ihrer Authentizität nicht abrufbar?

SCHMIDT: Präziser ausgedrückt: es sind lange und intensive Zustände, bei denen eine Art von Konzentration stattfindet, die unter Umständen "psychogrammatische" Resultate kennzeichnen. Im übrigen sind es über Jahre angeeignete Zustände.

GÖTZE: Der schöpferische Vorgang ist ein transformatorischer, neu in jeder erdenklichen Erscheinung. Wieso nimmst du an, um nochmals auf die Abrufbarkeit zurück zu kommen, ähnliche Zustände wieder wachrufen zu können?

SCHMIDT: Erläuternd möchte ich einen Bereich hinzuziehen, wenn du vom fortwährend Neuen sprichst, nämlich den mittelafrikanischen Skulpturen und Masken, die eine Psychogrammatik im Sinne wiederkehrender Bilder haben. Über ihre Verwendung im sozialen Kontext des Stammes weiß man ja mittlerweile einigermaßen Bescheid: entweder sind es Fetische oder Masken, jeweils mit den kulturellen Requisiten versehen, mit einem bestimmten Ausdruck und Zweck. Diese Kultgegenstände werden nach dem Ritual vernichtet und zum nächsten Ritual wieder neu erschaffen. - Also Erneuerung. Beibehaltung der Intensität. Dazu im Gegensatz, die Wiederholungsformen in unseren westlichen Gesellschaften.

GÖTZE: Verschiedentlich erscheinen in deinen Bildern zueinandergeneigte Polaritäten wie zentrierte Blöcke...

SCHMIDT: Ja! Mir gehtes dabei um Räumlichkeit. Ich arbeite mit Spannungsverhältnissen, mit Schwerkraft...

GÖTZE: Sind diese beiden Bildkomponenten Fügung oder Widerstreit?

SCHMIDT: Der Widerstreit erfolgt in der Arbeit, wenn man zu offensichtlich etwas erarbeitet hat, das man korrigieren oder wegmachen möchte. Also man modelliert etwas, baut es wieder ab, gibt etwas hinzu usw. Dies ist eine Art Suche, wobei verschiedene physische Befindlichkeiten zutage treten.

GÖTZE: Gibt es dabei die Angst, sich zu entblößen?

SCHMIDT: Nein! Angst gibt es überhaupt nicht. Aber es gibt Befürchtungen, es ist zu offensichtlich, zu banal zu machen. Oder ganz einfach einem Gemeinplatz verfallen zu sein.

GÖTZE: Die Sublimation steht dabei für die Zurücknahme?

SCHMIDT: Sicher! Zurücknahme ........wie auch Flucht! Flucht davor, daß man plötzlich etwas zu billig gemacht hat..., schließlich soll ein Widerstand spürbar bleiben und zu neuen Ideen, Bildern, Räumen führen... "synthetisieren", wenn du willst.

GÖTZE: In deinen Objekten, um darauf einmal zu sprechen zu kommen, fin det ein witziger Umgang mit dem Readymade statt, begreifst du sie als zeitgenössische "Explorationen" dieser Gattung?

SCHMIDT: In meiner gesamten Arbeit soll ein Widerstand zum üblichen Fluß der Kommunikation spürbar werden. Flaches und Plakatives interessiert mich als Ergebnis nicht. Obgleich mich Auslagen in Italien oder anderswo, die witzig und bombastisch gestylt sind, verzücken können.

GÖTZE: Hattest du für deine Objekte je ein Grunderlebnis?

SCHMIDT: Nein! Das war eher so, daß es Formen in der Malerei gab, die sich wiederholten, Grundmuster sozusagen. Dies führte dazu, dreidimensionale Entsprechungen zu suchen, die sich unmittelbar ergaben. Einen kulturhistorischen Auslöder gab es dafür nicht. Natürlich wußte ich um Duchamp, wie ich um die Neo-Dadaisten die Neorealisten wußte, die Duchamp in gewisser Weise reaktiviert haben, wie auch die nachfolgende Künstlergeneration. Duchamps Tod hatte seine Aktualität besiegelt. Erst die Künstler, die ähnliches Vokabular gebrauchten, brachten ihn wieder ins allgemeine Bewußtsein. Genauso war es ja mit Spoerri, Tinguely, mit Johns oder Rauschenberg! Oder auch mit Hamilton, der sich der Mühe unterzog, das große Duchampsche Glas zu dechiffrieren und es nachzuarbeiten. Mein Weg zum Objet Trouvé ging den Weg über die Malerei. Nicht zu verkennen, meine Objekte bestehen in der Sprache, im Kontext des Objet Trouvé , nicht jedoch in seiner Authentizität, denn sie sind die adaptierte Form von vorgefundenen oder verwandten Gegenständen...

GÖTZE: ...in diesem Zusammenhang bist du eigentlich Bildhauer?

SCHMIDT: 1985 goß ich das erste Objekt mit Gummi aus. Sicherlich bin ich mehr Bildhauer als Duchamp.

GÖTZE: Der Unterschied zwischen Duchamp und dir ist die Ebene der Inspiration?

SCHMIDT: Meine Objekte sind die zeitgeschichtliche Entfernung von Duchamp. Wie ich schon erwähnte, kann ich Freude an Analogien, Ergänzungen haben, die ich versuche in unterschiedlichen Kategorien auszudrücken, die ganz eigenen logischen Schlüssen entsprechen.

GÖTZE: Sind dies Ordnungsfelder, die du dir schaffst?

SCHMIDT: Malerei, Zeichnung und Objekt wie Schrift sind mir einerseits Ordnungsfelder und andrerseits such ich in diesen Gattungen nach der gemeinsamen Ebene, dem Konzeptuellen.Gleichsam muß ich meine Animosität an dem Begriff Ordnung festmachen, denn dieser tradiert die Möglichkeit des Experiments. Für mich fängt die Kunst dort an, wo sie Ensprechung bedarf.

GÖTZE: In deiner Malerei, aber auch in deinen Heftpflaster-Objekten verwendest du ornamentale Strukturen...

SCHMIDT: Ja! In der Regel sind es sehr geschlossene Gebilde. Die Linie führe ich dabei als Knäuel zusammen.

GÖTZE: Auch die Emblematik wird von Fall zu Fall in deinen Arbeiten offenkundig...

SCHMIDT: Die Emblematik spielt in meiner Arbeit eine sehr wichtige Rolle! So wie die runden Formen in meiner Arbeit eine historische Linie haben, so versuche ich, die Emblematik durch die Konfusion zu beheben, indem ich die klassische Dreiteilung des Emblems von Titel, Bild und Erklärungstext erarbeite. Das Emblem ist gemeinhin ja die Illustration, die Erklärung und die Bezeichnung der Moral, der Tugend oder Untugend, die damit augenscheinlich gemacht wird. In meiner Arbeit wird die Emblematik künstlerisch transformiert.

GÖTZE: Dabei bleibt die Emblematik als Formenkanon gültig?

SCHMIDT: Als Träger hat sich die Emblematik inzwischen herauskristallisiert. Im Moment entspricht sie mir, insofern ich nicht die Notwendigkeit sehe, sie gänzlich zu zerstören. In meiner Arbeit gab es schon immer die ergänzende Bereicherung. Allerdings habe ich selten von einer Zeichnung hinterher ein Bild gemacht. Diese Vermischung habe ich nie praktiziert. Natürlich gab es Zeiten, wo ich zeichnerisch mit dem Pinsel oder dem Stift malerisch umging.
Doch was mich von Anfang an interessierte, war der Versuch, einen Gegenstand oder eine Figur in ein räumliches Gebilde einzubetten. Und vor cirka zehn bis zwölf Jahren begann ich, diese Erfahrung zu abstrahieren. Also von dem stark Gegenstandsbezogenen wegzukommen und nach einer Sprache zu suchen, die mehr der Empfindung der augenblicklichen Situation gerecht wurde, als einer literarisch nachvollziehbaren Wiedergabe. Und auf diese Weise verselbständigte sich die Malerei wie die Zeichnung zu einem unperspektivisch Räumlichen, zu einem Strukturgebilde. Orientierungspunkte gab es dafür in nmehrfacher Hinsicht: die Taschisten, der abstrakte Expressionismus, das Informell, hinzu kam die Beschäftigung mit der Kalligraphie, insbesondere auch die europäische Adaption davon. Allmählich merkte ich, daß ich für mich hier nicht weiterkomme...Und nach Schaffenspausen fiel mir die Rundung auf, die sich aus dem physischen Radius ergibt, nämlich dann, wenn man vor einer Leinwand steht, entwickelt sich der Arm zu einem Hebel, der einen fixen Punkt hat, woraus sich die Gesten "zentrieren". Daraus ergab sich das Halbrund.
Mit den Jahren trieb ich diese Methode soweit, daß ich mir halbrunde Formate zuschnitt, die ich durch Analogien in der Architektur, in Alltagsgegenständen wiederfand.

GÖTZE: Ließen sich also deine neuesten Arbeiten als Fragen an deine Entwicklung verstehen?

SCHMIDT: Gewiß! Aber im Moment kann ich das nicht ausschließlich beantworten. Vielleicht in einigen Jahren... Mich fasziniert das Unaussprechbare in der "anderen Kategorie", sie im anderen Medium wiederzufinden, wo ich an die Grenzen stoße, mich persönlich zu erfahren beginne.

Gerhard Götze
NIKE NEW ART IN EUROPE No. 36

Keine Kunst
von der Stange

Einer Interview mit der Bildhauerin GERLINDE BECK


GÖTZE: Seit vier Jahrzehnten arbeiten Sie plastisch mit Holz, Stein, Beton, Terrakotta, Kunststoffen, Eisen- und Chromstahlblechen usw. Lässt sich bei Ihrem künstlerischen Wirken von einem "plastischen Grundgefühl" sprechen?

BECK: Ich glaube, dass ich von Anbeginn ein Raumgefühl hatte. Und dies nicht nur für feste Formen, sondern ebenso für meine Mittelachse. Sämtliche Skulpturen sind im Laufe der Jahre aus dieser "Mittelachse“ erwachsen.

GÖTZE: Ihr Schaffen kennzeichnet die "intellektuelle Hinterfragung", dem einmal Gefundenen vorzubauen; was ist der Impuls dafür?.

BECK: Bei mir unterscheiden sich dieWahrnehmungsvorgänge,die"intellektuelle Hinterfragung"streift sämtliche Ebenen meiner Wahrnehmung, Reaktion und Aktion.

GÖTZE: Virtualisierter Raum, konzentrische Bewegung, auch der "Klangeffekt", der sich mittels Hohlräumen ergibt, markiert Eigenschaften ihrer Skulpturen. Gibt es die Synergie verschiedener Aspekte in Ihren Skulpturen?

BECK: Virtualisierter Raum ist für mich eine ganz normale Befindlichkeit. Als ich 1940 auf die Akademie kam, fand ich eine Situation vor, in der der raumverdrängende Körper die Plastik, die Skulptur ausmachte...
Von Anfang an ging ich in meiner Arbeit von mir, von meinen Masseinheiten aus. Das gibt die Sicherheit, im Zweifel immer auf sich selbst zurückzukommen, aber auch eigene Formzusammenhänge finden zu können.

GÖTZE: Sie verwenden den Begriff der "Stele" für unterschiedliche Erscheinungsweisen Ihrer Skulpturen. Ist die "Stele" ein motivistisches Synonym für das plastische Erscheinungsbild Ihrer Arbeit?

BECK: Die "Stele" ist kein Leitmotiv Die "Stele" und die “Figur" sind Motive, die mir von außen zukamen. Hier summieren sich Wahrnehmungen der griechischen, der irischen und vieler archaischer Kulturen. Im Unterschied zur griechischen "Stele" zeigen meine "Stelen" den Bewegungsablauf, dies bei den kubischen Arbeiten, die Balance und Schwerkraft zum Thema haben.
Bei den späteren "Stelen", den aufgeschnittenen Röhren-Formen, treten Vorder;- Rück- und Seitenform markanter hervor, finden Schichtungen statt, wodurch eine Neudefinition der "Stele" möglich wird.
Die Stele verkörpert für mich reines Sein; sie währt über die individuelle Zeit. Schließlich hat das Sein in der "Stele“, eine unverbrüchliche Wirklichkeit, die ich in der "Stele" gesucht und gefunden habe.

GÖTZE: Die Figur in vielfältiger stereometrischer Ausformung repräsentiert einen wesentlichen Werkkomplex in den 50er und 60er Jahren Ihres Schaffens. War die Figur eine Notwendigkeit, dem Menschenbild habhaft zu werden, um es allmählich in transformierter Form in der "Herme", der "Stele" fortleben zu lassen?

BECK: Die Figur ist eigentliche Grundlage meiner Arbeit, sie ist fortwährende Frage an das Menschenbild, im Abtasten seines Erscheinungsbildes auf verschiedenen Ebenen.

GÖTZE: Wie notwendig war über die Jahre der transhistorische Moment, also von einer Form zur nächsten zu gelangen?

BECK: Wenn man ernsthaft arbeitet, taucht immer eine Frage auf, um diese zu beantworten, bedarf es der intensiven Auseinandersetzung, zwangsläufig erweitert sich "das Gesichtsfeld", in dem man gerade eingebunden ist. Die "momentane Form" belegt dabei nur den Augenblick.

GÖTZE: Ein "archaischer Grundzug" ist Ihren Skulpturen eigen, trotz äußerster Formstrenge vermitteln sie Nähe und Ferne zum Gegenüber. Hierbei denke ich insbesondere an die "Doppelfiguren", die durch ihr Erscheinungsbild Fragen aufwerfen.

BECK: Nähe und Ferne ist für mich ein und dasselbe. Standpunkte und Befindlichkeiten verschmelzen ineinander. Nach meinem Verständnis muss sich "Nähe und Ferne" in jedem Kunstwerk spiegeln.
Bei den angesprochenen Doppelfiguren spielen die "Lichtfugen" in diesem Zusammenhang eine unverzichtbare Rolle.

GÖTZE: Seit 1954 verwenden Sie für Ihre Skulpturen partiell Farbe, mit der Sie kontrastierende Ebenen in einer Skulptur schaffen. Ist Farbe für den Beschauer nicht zu leicht verfügbar?

BECK: Nach meinen Erfahrungen ist Farbe an der Skulptur für den Beschauer nicht leicht verfügbar, nur vermeintlich! Bei gezieltem Einsatz der Farbe ergibt sich die Möglichkalt, den "Raum" von außen nach innen zu ziehen oder den Raum von innen nach außen ausstrahlen zu lassen, wie bei den aufgeschnittenen Röhren-Skulpturen, was für die Wahrnehmung des Beschauers eine diffizile Angelegenheit ist.
Um 1950 herum experimentierte ich mit Farbe an verschiedenen plastischen Gebilden: Kugeln, Kuben, Pyramiden usw.; das Ergebnis war frappierend. Die weiße Kugel dehnt sich aus, die schwarze Kugel zieht sich zusammen, und beim Kubus nimmt sich dies ganz anders aus, da kann der weiße Kubus sogar zur Fläche werden! Für alle anderen Farben sind schwarz und weiß die Eckpunkte.

GÖTZE: Die Tektonik Ihrer Skulpturen besteht häufig aus Berechnungen, Zwischenräumen, Ausladungen, einsehbaren Öffnungen in den Korpus, ist dies im einzelnen ihr "Formeffekt" und Ihre Individualität?

BECK: Die Individualität einer Skulptur erwächst aus dem Arbeitsprozess einer langen Reihe. Es ist Wandlung in natürlicher Weise.
- Die Brechung ist eine Reaktion auf das vorhergehende Formelement.
- In meinen Skulpturen gibt es keinen statischen Kubus.
- Die Zwischenräume haben die Funktion der Ab- und Fortsetzung, auch der klanglichen Absetzung, sie sind Gelenkpunkte.

GÖTZE: Wie sehr steht der Umraum in Korrelation zu ihren Skulpturen?

BECK: Für mich gibt es keinen Umraum. Skulptur und Raum werden eine, nächst dem Tanz. Ich gehe in den Raum, lasse ihn eindringen; es gibt nur einen dialogisierenden Raum: dies ist die Prämisse meiner Skulpturen.

GÖTZE: In den 70er Jahren komprimieren sich Ihre Skulpturen zu Raumformationen Zunehmend tritt ab diesem Zeitpunkt auch der öffentliche Raum als Forum hinzu. Inwiefern unterscheiden sich diese Arbeiten von Ihrem bisherigen Schaffen?

BECK: Ich verfolge eine Linie, keinen Zufall, ein "bisheriges Schaffen" gibt es nicht, keine Kunst von der Stange! Sämtliche Skulpturen stehen in einer Kontinuität.

GÖTZE: Wie kam es 1985 zu dem Environement "Monument für eine Astronautin"?

BECK: Überall stehen Monumente. Warum keines für eine Astronautin? Wenn man die Arbeit in Augenschein nimmt, sieht man, dass sie nicht herkömmlicher Auffassung entspricht. Die Astronautin liegt auf Schaumstoff, mit Raumlinien und Koordinationssystemen verbunden. Nun, Monumente errichtet man denjenigen, die auf der Strecke geblieben sind…

GÖTZE: Eine Reihe von Komponisten, unter anderem auch sehr bekannte Namen, schufen für Ihre zwischen 1972-84 entstandene "Klangstraße", die Sie 1987 in Linz auf der "ars electronica" präsentierten und mit Ihrem Mann bespielten, eigene Kompositionen. Stellt sich nicht in solchen Momenten höchstes Erstaunen ein, wenn Koryphäen und Nachwuchsmusiker für Ihre Skulpturen Klangbilder ersinnen?

BECK: Auf den Einfall kam eigentlich Günther Wirth, als er meine kubistischen "Stelen" abklopfte und sagte.» "Du, die klingen ja!" "Ja, das weiß ich schon lange", antwortete ich. Doch arbeitete ich erst nach einer Begegnung mit dem Percussionisten Prof .Siegfried Fink, anlässlich der Ausstellung "Deutsche Bildhauer" 1970 in Augsburg, gezielt an Klangkörpern.
Er war fasziniert von den Klangstrukturen meiner Skulpturen. Es entstanden die ersten Teile der Klangstraße, die eigens für das Auge und das Gehör von mir konzipiert wurden.
1974 gab Siegfried Fink dann im Heilbronner Kunstverein das erste Konzert auf der Klangstraße, ergänzt durch eigene Percussionsinstrumente. Seitdem wurde die Klangstraße auf vielen Festivals für neue Musik bespielt. Es entstand eine Schallplatte mit Werken, die auf die Klangstrukturen der Skulpturen beschränkt blieben, von Stockhausen, Stahmer,Logothetis und Wünsch.
Inzwischen arbeite Ich mit Logothetis an weiteren Klangskulpturen, d.h. wir stimmen uns jeweils auf ein synchrones Thema ab.

GÖTZE: Eingedenk der Tatsache, dass wir nur einen winzigen Bereich Ihres künstlerischen Wirkens in diesem Interview streifen können, möchte ich nochmals auf Ihre Ausstellungen 1962/64 in der legendären GALERIE PARNASS in Wuppertal-Elberfeld zu sprechen kommen.
Was war das damals für ein Klima, in dem Beuys, Vostell, Schumacher, Schultze und natürlich Sie - wie v. a. m, - dem geistigen Streben durch ihre Arbeit und Ausstellungen oder Performances eine unvergleichliche Dynamik verliehen?

BECK: Der Galerist Rolf Jährling war ein weltaufgeschlossener Mann -ist es im übrigen noch immer!;-der Individualitäten konträrster Prägung unter seinem Dach vereinen konnte.
Damit rief er eine ganz lebendige Szene auf den Plan, die Ausstrahlung hatte.
Gerade Beuys, der lange Zeit als Adlatus von Vostell figurierte, beobachtete ich über die Jahre, wie sehr seine künstlerische Potenz allseits einen unauslöschlichen Eindruck hinterließ. Er bewirkte ein Klima, das Ansporn und Herausforderung war…

Gerhard Götze
NIKE NEW ART IN EUROPE No. 37

Heinrich Stichter

Ein Interview


GÖTZE: Was ist der Anlass zu immer neuen Bildern?

STICHTER: Der bewegende Grund meines permanenten Arbeitens - eine komplexe existentielle Problematik, die in immer neuen "Vergegenständlichungen" ihre adäquate Auflösung sucht. Lassen wir es vorerst bei dieser etwas "allgemeinen" Formulierung

GÖTZE: Wie charakterisieren Sie Ihre Bilder?

STICHTER: Das schließt an die erste Frage an. Jedes der in einem Kontinuum zu sehenden Bilder kann auch als Psychogramm verstanden werden - im Hinblick auf die prinzipielle, sehr komplexe Fragestellung, die mein Leben und Arbeiten fundiert und konturiert. Das Problem ist aber auch eine adäquate, non-verbale Formulierung der Fragestellung, um die ich ringe. Das ist ein emotional-vitaler Prozess, dem ich mich immer wieder in meinen Arbeiten ausliefere.

GÖTZE: Woraus erwächst die Neigung "artfremdes Material" als Bestandteil Ihres Bildkosmos zu gebrauchen?

STICHTER: Für mich gibt es kein "artfremdes Material“ - ich wähle das Material bewusst aus, ja, ich wäge auch rational ab, ob es in die Komposition passt. Dabei ist die ursprüngliche Auswahl des Materials sehr spontan. Das Brauchbare lässt sich immer leicht finden, wenn die Prinzipien des Suchens klar sind.

GÖTZE: Kreuz- und Kreisform treten "leitmotivisch" in ihren Bildern zutage; gibt dies ein Thema an?

STICHTER: Das Variieren der Ursymbolik von "Kreuz- und Kreisform" ist zunächst sicherlich eine Methode der Komposition, der Gliederung des Quadrats, der Fläche, Kreis und Kreuz sind rigide, einfache Kompositionselemente. Es sind dies Ordnungskriterien von elementarer Wucht und Faszination im Kontrast zum Vielfältigen, scheinbar Ungeordneten. Der Bedeutungsgehalt von Kreuz und Kreis ist allerdings auch sehr komplex. Wir wollen diesen Aspekt aber nicht allzusehr psychologisieren. Ich überlasse es dem Betrachter, den Bedeutungsgehalt dieser Symbolik zu mindern oder zu mehren.

GÖTZE: „Zufälligkeit der Bewegung ",löst diese mitunter die ganze Komposition?

STICHTER: In früheren Phasen meines künstlerischen Arbeitens wohl seltener. Da war es eine Dialektik von Spontaneität und fortwährender, bisweilen unerbittlicher Überarbeitung des spontan Entstandenen. Seit etwa drei Jahren geschieht dies - wie Sie es so schön sagen "mitunter".

GÖTZE: "Flächigkeit im Raumgefüge" kennzeichnet viele Ihrer Blätter; ist dies der Widerstreit, der die polaren Ebenen auf dem Bildgeviert "eint", oder ist es eine Eigenschaft Ihres künstlerischen Ausdrucks?

STICHTER: Die Ausdrucksform des bildnerischen Schaffens ist der Raum, die Fläche. Der Raum, die Fläche in ihren mannigfachen Beziehungen: eine gesetzmäßige Struktur. Da ist immer Widerstreit und Harmonie. Frage: Wie gehe ich damit um? Frage: Ist das Resultat des Umgangs mit dieser Struktur befriedigend?

GÖTZE: Welche Bedeutung kommt der Collage wie der Decollage in ihrem Gesamtschaffen zu?

STICHTER: Die große Bedeutung der genannten Arbeitstechniken ergibt sich aus den Materialeigenschaften des verwendeten geschichteten Stoffs. Oft wurde eine Arbeit als Collage begonnen und ausgeführt - die Korrektur war mitunter dann die Decollage. Collage und Decollage als zwei notwendig aufeinander bezogene Phasen eines Arbeitsprozesses. Das Resultat oftmals eine Collage-Decollage.

GÖTZE: Worauf weist das Lineament in ihren Bildern hin; steht es für die Tektonik oder für eine narrative Eigenschaft?

STICHTER: Das Lineament hat sowohl tektonische wie narrative Funktion. Aus meiner Sicht würde das narrative Element dabei aber sekundär sein. Wobei zu erwähnen ist, dass das narrative Element der Linie - was die Botschaft des Werks betrifft - sehr verschlüsselt sein kann. Das Lineament hat aber über das Narrative und Tektonische hinaus eine Funktion als freier, selbständiger spielerischer Ausdruck der Linie.

GÖTZE: In gleicher Weise gebrauchen Sie Leinwand, Holzplatten oder Papier als Basis für Ihre Bilder. Entscheidet über die jeweilige Verwendung des Materials der Zufall oder bestimmt die Intention vorausblickend die Grundlage Ihrer Bilder?

STICHTER: Der bildnerische Impetus impliziert die Wahl des Bildgrundes. Daraus ergibt sich oft die Bevorzugung kräftiger Bildgründe.

GÖTZE: Spielt die Dimension der Zeit in Ihren Bildern eine Rolle? Zeit - individuell vergänglich wie historisch intendiert verstanden?

STICHTER: ...einmal davon abgesehen, dass meine Bilder nie im Nu entstehen, sondern immer das Ergebnis zeitaufwendiger Prozesse sind - die Collage zum Beispiel ist ein in einem zeitlichen Nacheinander entstandenes "Geschichtetes": da läge ja ein Paradigma zur Dimension der Zeit als Geschichte. Bringe ich in die Collage das Moment der Decollage ein, so wird die geschichtete Struktur des Bildes noch einmal sichtbar. Aber das ist alles ein mehr arbeitstechnischer Aspekt. Meinen Bildern eignet wohl eher die Dimension der Statik, der Nicht-Zeit…

GÖTZE: Verschiedentlich tragen Ihre Bilder Titel, sind sie dadurch "Träger" des mit der Kennzeichnung verbundenen Sujets?

STICHTER: Für mich sind die wenigen den Bildern zugeordneten Titel so etwas wie eine zusätzliche vorläufige Charakterisierung, die aber doch nicht beliebig ist. Andererseits: wird nicht die Bild-Wahr-Nehmung durch die Bezeichnung eingeengt? Eigentlich leben meine Bilder ohne das verbale Attribut.

GÖTZE: Sind Ihre Bilder Gleichnisse zur Welt?

STICHTER: Was ist hier "Welt"- ist es die Welt "unserer Tage", der zeitgeschichtliche Horizont mit seinen ökologisch-politischen Desastern und seinem hybriden Wendezeit-Charakter, ist es die "Welt" im metaphysischen Sinne des Umgreifenden, des Kosmos? - dem das einzelne Ego entgegensteht? Sicher lassen sich "gleichnishafte" Bezüge in interpretatorischer Perspektive zu beiden Welt-Aspekten aus meinen Arbeiten herleiten, aber nicht in einem einfachen Zugriff, in linearer, eindimensionaler Perspektive.

GÖTZE: Sie blicken inzwischen auf eine dreißigjährige Werkgeschichte, wie würden Sie diese definieren?

STICHTER: Dreißig Jahre, eine Entwicklungsgeschichte, wenn Sie so wollen. Einige Charakteristika dieser Geschichte. Eine gewisse Konsequenz im Arbeiten. Arbeiten als permanente Anstrengung, ein in der konzentrierten Arbeit auch an Grenzen gehen, die nicht allen bekannt sind. Eine gewisse arbeitsnotwendige Abgeschiedenheit.

GÖTZE: Gibt es den Ausblick, evtl. Veränderungen, neue Perspektiven?

STICHTER: Die Arbeit geht weiter…

Gerhard Götze
NIKE NEW ART IN EUROPE No. 38

Christoph Fikenscher

Ein Interview


GÖTZE: Du lebst und arbeitest seit Jahren in Sizilien, hast auch dort studiert. Hat dieses Weggehen in die Fremde Spuren in Deiner Arbeit hinterlassen?

FIKENSCHER: An der Oberfläche kann man da wohl nichts sehen, aber einige Jahre in einem Land wie Sizilien fügen ja nicht einfach Neues hinzu, sondern verändern insgesamt den Blick. In Sizilien gibt es kein harmonisierendes Lifting, eventuell Theaterschminke, Konstraste werden sichtbar, greifbar, auch wenn es sich um Geheimnisse handelt. Sizilien ist derart körperlich gegenwärtig, dass es sich gegen jede Darstellung, Mediatisierung sträubt. Das "Fremde", "Unvertraute", "Unbesetzte" als Varianten des rettenden und zu rettenden "Anderen" verführen ja leicht, das Risiko dabei ist, dass man schnell zu rhetorisch verbrauchten und sentimentalen Floskeln kommt.

GÖTZE: Es sind Hoffnungsträger, die müssen eingelöst werden, von dem, der sie gebraucht.

FIKENSCHER: Der Künstler als Hoffnungsträger wird leicht zum stellvertretend leidenden Heilsträger; ich möchte bei dieser Kunstreligion nicht mitmachen. Diese Bürde kann der Künstler nicht der Gesellschaft abnehmen, die Rollenverteilung wäre verquer, aber ganz bequem für Leute, die an einer solchen Ausgrenzung interessiert sind. Modellhaft –die aufgeklärte Version – handelt der Künstler auch nicht. Kunst hat sehr unterschiedliche persönliche Motivation und zudem Angebotscharakter, daraus kann man doch nicht Modelle für hochkomplizierte Prozesse fabrizieren.

GÖTZE: Je komplexer das Gesellschaftsbild wird, desto größer wird die Diskrepanz des künstlerischen Individuums zum Kollektiv. Wo ist da die Position des schöpferischen Menschen innerhalb dieses Prozesses?

FIKENSCHER: Wichtig ist für mich zunächst ein waches, neugieriges Verhaften dem gegenüber, was um mich herum geschieht, auch zu sehen, wie Bilder (images) hereinkommen. Eine Frage der Aufmerksamkeit, versuchen, nicht auf gewohnte Interpretations- und Selektions-
muster hereinzufallen. Das ist zunächst mehr rezeptiv, reaktiv. Dann organisiere ich das neu.

GÖTZE: ...um eine zutiefst persönliche Welt zu schaffen.

FIKENSCHER: Was ich mache, würde ich lieber als das Ergebnis einer persönlichen Auseinandersetzung mit der Welt, die mich umgibt bezeichnen, um etwas von der Psychologie wegzulenken. Heute steht eine riesige Bildermenge möglicher Welten auf Abruf bereit, das gab es nicht, als die Kunst das Privileg der Bilderfindung und -Verbreitung hatte. In diesem Speicher erfreut sich "persönlich handgemachte Kunst" ungebrochener Wertschätzung, als Exoticum. Die "authentische Handschrift" kann sich der Rubrizierung als Ware nicht entziehen; und bald zählt die Rubrik mehr als das Rubrizierte.

GÖTZE: Mich würde dein Verhältnis zum Ready-made interessieren; denn du benützt zumindest die Ebene des Möglichen.

FIKENSCHER: Ready-mades verwende ich ja nicht, sondern mache sie selber, als-ob-Ready-mades. In diesem Jahrhundert markieren sie die Gefräßigkeit der Kunst, die sie sich nach und nach immer mehr einverleibt.

GÖTZE: Eine Fäkalisierung der Kunst?

FIKENSCHER: Eine sehr kopflastige Fäkalisierung; denn die Einverleibung der Ausscheidung in den Warenkörper Kunst lässt ganz konsequent ihre sinnliche Qualität unter Blechverschluss. Die Expansion des Ready-made hat gründlich Grenzen verwischt, in beiden Richtungen. Wichtig ist ja dabei besonders der Schock, und den konsumiert man wie andere Neuigkeiten auch, wie Informationen. Das gilt natürlich nicht nur für Ready-mades im engeren Sinn, sondern auch für den Einsatz ungewohnter oder gar tabuisierter Materialien. Dieser Stachel ist der Kunst weitgehend genommen, es kommt mehr auf die ganze Breite der Bedeutungsverschiebungen an. In einer Welt, die so reich an Artefakten und Prothesen ist wie die unsere, kann man sich auf das Schema des Grenzspiels Kunst/Leben wohl nicht mehr verlassen. Manchmal muss ich an das barocke Stuckuniversum denken; ein ungeheures Theater in das alles Eingang gefunden hatte, was damals bekannt war, mitreißend, gewiss jedoch mit festen Grenzen, räumlich und zeitlich. Heute gibt es eine noch umfassendere mediale Maschine; je perfekter sie wird, desto weniger nimmt man sie als Maschine wahr, man vergisst, im Saal des Spiels ohne Grenzen zu sein. Da setze ich an, ohne Frontstellungen. Ich versuche an Grenzen herumzulaborieren, mit Hilfe kleiner Verschiebungen Ambivalenzen zu erzeugen.

GÖTZE: Du machst es dem Betrachter nicht ganz leicht, deine Arbeiten erschließen sich langsam, aus einer Summe von Eindrücken.

FIKENSCHER: Diese Eindrücke sind dann aber nicht so direkt sinnstiftend wie etwa Puzzlesteine, denn sie passen nicht ganz zueinander und der Betrachter bekommt sie nicht aus derselben Entfernung oder Perspektive in den Blick. Das ist oft eine Maßstabsfrage, denn « ich verwende neben- und ineinander Elemente sehr verschiedenen Maßstabes. Außerdem kann man sich manchmal nicht entscheiden, ob da etwas vergrößert oder verkleinert ist. Das zu groß geratene Spielbrett von "Mes cheris" lässt auch an einen Parkettboden denken.
Medaillons sind eigentlich klein und für Schublade und Handtasche geschaffen, das Material, sie sind aus Gips, und das Profil ist eher mit Stuckleisten verwandt. Je nach der Perspektive ändert sich der Maßstab und die Zugehörigkeit zur öffentlichen oder intimen Sphäre. Die gestickten Schriftzüge auf den rosafarbenen Stoffbezügen sieht man erst aus der Nähe - leserlich werden sie gar nicht- sie fallen nur unter die Kategorie Unterschrift.

GÖTZE: Dabei ist das Material, die Technik, also hier die Stickerei, dem Dargestellten unangemessen.

FIKENSCHER: Sticken ist eine langsame, unpersönliche Handarbeit, aber keine neutrale Wiedergabetechnik, besonders im Zusammenhang mit Medaillons. Außerdem erscheinen die Schriftzüge auch in den Deckeln gestickt, diesmal gespiegelt jedoch, ohne dass man entscheiden könnte, ob der "Spiegel" nun oben oder unten ist. Als ob der wahre Schriftzug irgendwo zwischen den beiden Rahmen mit ihren Polsterungen existiert hätte und vielleicht noch dort wäre. Ich agiere mit sehr unterschiedlichen Mitteln an der Oberfläche - das hat durchaus etwas Bühnenhaftes - um auf etwas Abwesendes zu deuten. Aber nicht auf irgendein Ereignis ziele ich da ab, sondern auf den abwesenden Körper, und sei es auch ein Schriftkörper.

GÖTZE: Diese Körper hast du doch früher gemalt?

FIKENSCHER: Ja, da komme ich gewissermaßen her, denn angefangen habe ich als Maler, mit ausgeschnittenen, bemalten und beklebten Leinwänden, irgendwo zwischen Bild und aufgehängter Haut. Ich konnte das dann nicht mehr aufrechterhalten, als mir nach und nach klar wurde, dass mein Vorgehen zu direkt war, dass ich vergeblich anstrebte, etwas herbeizuzwingen, das dann zur Staffage geraten musste, im Spiel ohne Grenze.
Da meine Aufmerksamkeit dem überrepräsentierten, dem projizierten Körper gilt, versuche ich zwischen die gesetzten Zeichen und das angesprochene Abwesende zu kommen, um an diese Spannung zu erinnern, sie zu intensivieren.

Gerhard Götze
NIKE SPECIAL SCULPTURE No. 1

Barnstein
und seine Ideoplaste

Ein Interview mit THOMAS BARNSTEIN


GÖTZE: 1987 hast Du den Begriff "Ideoplaste" für Deine Skulpturen erfunden. Was verbirgt sich dahinter?

BARNSTEIN: Der "Ideoplast" ist für mich ein aus der Vorstellung heraus entstandener künstlich geschaffener Körper, der mit den Mitteln der Architektur Ausdrucksformen von Macht, Glaube, Hierarchie oder Orientierung darstellt und reflektiert. Ich bin einer Welt gegenübergestellt, die ich erst einmal hinterfragen und neu für mich ordnen muss. Mich interessieren beispielsweise die visuellen Konkretisierungen, die äußeren Attribute eines gedanklichen oder gesellschaftlichen Gebäudes. Ich frage nach den Zusammenhängen von Inhalt und Form und suche nach Wechselwirkungen, wobei mich Metaphern und archaische Formfindungen faszinieren. Die Grundrisse von Kirchen und Repräsentationsbauten sind hier ein wichtiges Ausgangsmaterial für meine Assoziationen und Fragen: welche neuen bildhaften Kürzel und Embleme gibt es für Hineingehen und Empfangenwerden, Umschließen und Bergen, Kampf und Auseinandersetzung, Gefährdung und Verlust, Überwindung und Steigerung?
Einige meiner Skulpturen sehe ich als konzentrierend: in ihnen werden Gefühle gebündelt und in ihrem Sog Gedanken provoziert. Ihr oft klares und nicht rhythmisiertes Äußeres könnte für die Mauern eines Klosters stehen, ihr Inneres für Erlebnis und Meditation. Häufig dient mir die Plastik zur Isolierung eines Gegenstandes - wie z.B. bei meiner Arbeit "Pantheon" um mich mit ihm intensiver auseinanderzusetzen, seinen Wert besser zu begreifen. Manchmal hat das zur Folge, dass eine Skulptur von ihrer äußeren Form her unscheinbar wirkt, da sich ihre Kostbarkeit erst in ihrem Inneren erschließt.

GÖTZE: Bei den Arbeiten aus den letzten Jahren, die Du öffentlich gemacht hast, tritt ein konstruktives Ordnungsgefüge zutage. Woraus setzt es sich zusammen?

BARNSTEIN: Aus verschiedenen raumgebenden Strukturen, rhythmisierenden Elementen, Rastern, Raumtiefe bildenden Wänden. Es handelt sich um architektonische Körper, um Bauten, die keiner Funktion genügen müssen, sondern Ausdruck sind.

GÖTZE: Ist Deine Formensprache bedingt durch die Materialien, die Du verwendest?

BARNSTEIN: Mein Material - Platten aus Ton oder Ytong - verwende ich als Baumaterial, als ein Konstrukteur. Vertikale, horizontale, geneigte und gebogene Wände addieren sich zu Körpern, die Räume und Raumsegmente bergen. Stärker aus geschlossenen Volumina sind meine Betongüsse komponiert. Sie schälen sich aus klaren geometrischen Gussformen, gebaut aus Brettern und Ton. Das Bezugssystem der skulpturalen Elemente, das Aufeinandertreffen der formbildenden Flächen, wirft Fragen auf, die ich nur konstruktiv und planerisch lösen kann, wobei ich die Geometrie oft als eine spannende Wissenschaft erlebe. Dabei bin ich aber nicht an komplexen Gebilden, sondern an klaren Formen interessiert und ich verzichte auch auf zusätzliche Qualitäten etwa haptischer Art. Ich möchte nicht die organisch bewegte Haut, die Anmutungsqualität der bewusst strukturierten Oberfläche, die gestaltete Textur. Licht und Schatten allein sollen den Körper modellieren. Er baut sich aus einfachem Richtungswechsel seiner Wendungen auf, die darin vorkommenden Winkel und Radien müssen miteinander harmonieren, oder sie müssen in kontrapunktischer Beziehung stehen.

GÖTZE: Ergeben in Deiner Arbeit Material und Zeichen eine Verschmelzung?

BARNSTEIN: Beim Bauen mit lederharten Tonplatten ergibt sich die Planung, das Zuordnen der dienenden zu den eigentlichen Teilen - der Streben zur Wand - aus deren statischer Eigenart. Ich bringe die Physik in Einklang mit dem Ausdruck. Träger dieses Ausdrucks sind klare, graphische, zeichenhafte Formen, und letztlich ist es die Vorliebe für diese Bildsprache, die mich mein Material auf konstruktive Weise bearbeiten lässt.

GÖTZE: Unverkennbar bei Deinen Skulpturen tritt das zylindrische Moment, verbunden mit der Bewegung hervor.

BARNSTEIN: Die Zylinder, vielmehr ihre Segmente unterstützen die Dynamik meiner Arbeiten. Diese Bogensegmente sind Bindeglieder zwischen eckigen Formen, Elemente eines mehrschaligen Raumgebildes, und bei manchen Plastiken lösen sie deren Blockhaftigkeit auf. Der Bogen steht für Spannung in Kontrast zum statisch Gebundenen. Oft verwende ich ihn daher geneigt, abgefedert durch das Gegenüber eines gradlinig begrenzten, durch Schattenkanten gegliederten Körpers. zwei verschiedene Charaktere treten in Dialog miteinander. Das Tektonische erfährt seine Gegenrede in einer ausgreifenden Bewegung. Gedacht worden kann eine Stadt mit ihren vielen Häusern, die geborgen wird durch den Ring der Stadtmauer.

Gerhard Götze
NIKE SPECIAL SCULPTURE No. 2

Masse und Raum

Ein Interview mit MARKUS SCHLEE


GÖTZE: Tenor Ihrer skulpturalen Arbeit ist der Kubus; inwieweit steht die persönliche Psychologie für die Form?

SCHLEE: Die Rechtwinkeligkeit bezeichnet die Schöpfung des Menschen; sie stellt zugleich die einfachste lineare Beschreibung des Kontinuums Raum dar. Damit bleiben rechtwinkelige Formen, auch wenn sie geschlossene Körper beschreiben, immer im ständigen Fluss eines gedachten Raumnetzes integriert und damit in alle Ausdehnungsrichtungen des artifiziellen Raumes offen. Auch lassen sich die Akkorde der Proportionen in kubischen Bezügen mit einem hohen Grad von Simultaneität und Klarheit wahrnehmen.
Nach der Kugel ist der Kubus innerhalb der Elementarfiguren diejenige, die bei kleinster Oberfläche das größte Volumen in sich komprimiert. Verglichen mit der Kugel verhält sich der Kubus weniger variabel bezüglich seines Standortes im Raum. Meine Plastiken stehen immer auch für mich.

GÖTZE: Bei der Auseinandersetzung mit Ihren Skulpturen tritt eine "geometrische Örtlichkeit" zutage. Definieren Sie dadurch Raum und Zeit?

SCHLEE: Leben ist Veränderung, Bewegung. Da wir die Vollendung von Leben in unserer Beschränktheit nicht erfahren können, bedienen wir uns der Vehikel Raum und Zeit. Sie bleiben jedoch in einer gegenseitigen Kausalität verfangen. Meine Objekte sind Zustände (d.h. Befindlichkeiten eines Raum-Zeit-Zusammenhangs), die sich von ihrer inneren Struktur und deren Zwiesprache mit dem Umraum her definieren.
Doch auch die Beziehung Ding-Raum ist wechselseitig: Der einer geschlossenen Form innewohnende Nicht-Raum definiert (quasi als Fixpunkt) den Raum, von dem er umschlossen wird, der ihn begrenzt, den er begrenzt.
Das Bilden birgt die Möglichkeit in sich, Momente, die in der künstlerischen Arbeit gefunden werden, durch ihre dauerhafte Materialisierung zu vollen Zeitspannen zu weiten; insofern können Plastiken Zeit neu definieren.

GÖTZE: "Energetico" bezeichnet als Begriff einen Zyklus unterschiedlich komponierter Skulpturen, die Beton, Stahl und schaltkastenartige Gehäuse als Oberfläche aufweisen. Überhaupt unterscheidet sich die zum Beschauer gerichtete Oberfläche der Skulpturen wesentlich von den übrigen Teilen der jeweiligen Arbeit, liegt dem eine Absicht zu Grunde?

SCHLEE:Der Zyklus "Energetico" setzt sich besonders konkret mit einem bestimmenden Aspekt meiner Arbeit auseinander: Mit der potentiellen Energie, die der Masse immanent ist. Die feste Form von Masse hat die Energie der amorphen, beweglichen Urmasse gespeichert, So wie der Moment Ausdruck eines Kontinuums ist. Bei der Gesteinswerdung verschließt sich der Beton gegenüber dem, was um ihn ist. Um die in ihm ruhende Kraft in sein Umfeld abzuleiten, baue ich Material-Formen ein, die schon bei seiner Metamorphose zu einem integralen Bestandteil werden, und über diese symbiotische Beziehung die Fähigkeit erlangen, seine Gravitation nach außen zu tragen, zur Äußerung zu bringen. Die Oberfläche soll dabei zwar von innen nach außen vermitteln - aber nicht ihre erotische Kraft aufgeben, das Außen daran zu hindern, ins Innen zu dringen.

GÖTZE: Einerseits sind Ihre Skulpturen gegenstandsfrei - andererseits gebrauchen Sie als Titel kulturgeschichtlich festgelegte Termini, unterminiert nicht dadurch das eine das andere?

SCHLEE: Meine Plastiken sind nicht im Eigentlichen gegenstandsfrei; sie verkörpern den Gegenstand selbst. Ihr Gegenstand ist der Versuch, Gemeinsamkeiten des Seins - die scheinbar unterschiedlichen Dingen, Begriffen und Wahrnehmungen zugrunde liegen - zum Derivat einer neuen Seinsform zu bündeln. Die Titel deuten auf synonyme Verkörperungen in der naturellen Schöpfung hin. Die Wahl der Thematik wird durch ihre (für mich fast archetypische) Wichtigkeit bestimmt.

GÖTZE: Bezeichnen die geometrischen Grundformen, die Sie bislang thematisierten, einen ausschließenden Topos, der Ihre Arbeit bestimmt?

SCHLEE: Die Formen, in denen meine bildnerische Arbeit sich zum Ausdruck bringt, sind die Ergebnisse der analytischen Erforschung der sensualen, emotionalen und rationalen Ereignisse in mir und meiner Umwelt. Sie sind Formeln für Fraktale in der von mir erlebten Welt. In diesem Sinne sind sie subjektiv und ausschließlich. In ihrer Einfachheit bleiben sie jedoch offen für Kontemplationen des Betrachters. Indem meine Konzepte sich auf Rahmen und Ziel beschränken, bleibt im Prozess dem Material sein Recht auf Selbstwerdung, Selbstsein, Selbstdarstellunng erhalten. Es wird so eine Öffnung von der kulturellen zur naturellen Schöpfung ermöglicht.

Gerhard Götze
UNIVERSITAS, Stuttgart 1988

Bernd Stöcker

Ein Interview


GÖTZE: Du arbeitest künstlerisch an der menschlichen Figur, was ist dabei der Anlaß?

STÖCKER: Ich möchte mit einem literarischen Beispiel antworten: der Schriftsteller Garcia Marquez schildert Menschen, Träume, Orte, die an der Wirklichkeit Gestalt wurden. - Dieser Ansatz ist in der deutschen Gegenwartskunst gänzlich unterprivilegiert. Für mich ist der Marquezsche Wirklichkeitsbegriff beispielhaft, das Menschbild als Thema zu behandeln.

GÖTZE: Fühlst du dich als Zeitzeuge?

STÖCKER: Durchaus, das ist ein ganz entscheidender Moment für mich: Wenn ich schaffe, versuche ichzugleich die Z e i t zu begreifen; vom Geistigen, vom Haptischen ein "Bild" zu formulieren, nicht etwas Idealisiertes zu sehen, zu fühlen, sondern die Widersprüchlichkeit in meine Skulpturen einzubringen. - Gerade die konträren Antriebsmomente, die ein Individuum auszeichnet, wahrzunehmen. - Zum Beispiel ein Portrait fasse ich nicht als Einheit auf; ich sondiere die Ambivalenz, die das Portrait dann bestimmt.

GÖTZE: Du machtest Skulpturen von Zwangsarbeitern im Dritten Reich, nehmen sich diese "Gestalten" für dich mythisch aus?

STÖCKER: Wenn man sich die jüngste Geschichte vergegenwärtigt, die Reihen des Widerstandes, jedoch auch den unbenannten Zwangsarbeiter, dort traten Persönlichkeiten auf, in deren Handeln mythische Züge wahrzunehmen sind; vorausgesetzt, man erachtet Aufrichtigkeit, Selbstlosigkeit, Mut und die Preisgabe des eigenen Lebens als persönliche Größe.

GÖTZE: Bezieht sich deine Arbeit auf die "Provinz des Menschen"?

STÖCKER: Ich gehe davon aus, daß die Wirklichkeit, wobei Wirklichkeit immer auch in der Rückschau ihre Gegenwart findet, künstlerische Sprache formt, in der die Provinz des Menschen sich offenbart..., ich finde gerade diesen Aspekt sehr wichtig, denn heutzutage wird viel zu schnell durch einen internationalen Formenkanon das Milieu des Künstlers verdrängt. Eine spezifische künstlerische Sprache halte ich für eminent wichtig, wo die Provinz ablesbar wird, ohne hierbei dem Erzählerischen zu huldigen, wo der Stein Stein bleibt, wo der Block Block bleibt, die Landschaft des Menschen erfahrbar für andere Menschen hervortritt.

GÖTZE: Nimmt inzwischen nicht das Fragment die Form in Anspruch?

STÖCKER: Fragment ist auch eine Form. Es ist entscheidend, daß das Fragment das Ganze beinhaltet, nicht in Form einer Idealisierung; das Fragment muß als Form stringent sein. - Fragment oder vollkommene Form beinhalten keinen Widerspruch mehr.

GÖTZE: Könnte man bei deinen Skulpturen von neuer Figuration sprechen?

STÖCKER: Das immer Neue ist der Mensch: Mir ist es wichtig, den Zwiespalt einer "Person" darzustellen; das was dazwischen steht, eine Person nicht en face abzubilden. Dieser Standpunkt gründet natürlich auf meinem Leben als Prämisse, denn nur im Korrelat mit dem anderen, stellt sich das Verlangen der Gestaltung ein.

GÖTZE: Wird der eigene Subjektivismus für ander noch einsichtig?

STÖCKER: Unser heutiger Erkenntnisstand ist sehr komplex, der sich nur im Dialog läutert, und sei's in meiner Arbeit, woraus sich ein ganz neuer Begriff der Kunst ergibt.

GÖTZE: Sind deine Skulpturen ein Raum-Zeit-Äquivalent?

STÖCKER: Den Raum möchte ich festmachen an der menschlichen Figur, nicht ein Raum an sich. Wenn man sich vor Augen führt, daß der Mensch zunehmend von der Technik beschnitten wird, zunehmend in den Hintergrund verwiesen wird, dann ist mein Thema unweigerlich der Mensch. Natürlich muß ich als Bildhauer einen Raum schaffen, denn es wäre ein Dilletantismus, das Nåeue zu bezeichnen als Figur "Sowieso". Meine Skulpturen explizieren nur einen Raum im Raum; ihre Genese ist Begrenztheit des Steinblocks; Abschnitte wie Lebensende, wie ein Tod, ein Fragment - und jeder Versuch darüber hinaus, scheitert.

GÖTZE: Bleibt Scheitern ein schöpferischer Antriebsmoment?

STÖCKER: Gewiß! Dies haben mich Hrdlicka und Rückriem gelehrt..., und wie führte Paul Valéry aus: "Wir haben Werte vernichtet, Ideen zersetzt, Gefühle zerstört, die unerschütterlich schienen, weil sie zwanzig Jahrhunderten von wechselnden Schicksalsschlägen widerstanden haben, und wir haben, um einen neuartigen Zustand der Dinge auszudrücken, nur uralte Begriffe.

Ausgewählte Interviews von
Gerhard Götze


ANSGAR NIERHOFF

EMIL SCHUMACHER

PIT KROKE

HEINER BLUM

JENS TRIMPIN

REINHARD SCHERER

PAVEL SCHMIDT

GERLINDE BECK

HEINRICH STICHTER

CHRISTOPH FIKENSCHER

THOMAS BARNSTEIN

MARKUS SCHLEE

BERND STÖCKER

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